Das Titanic-Attentat
muss man schon noch etwas tiefer schürfen: »Der Reichtum der Vanderbilts, Rockefellers, Astors oder Morgans gilt noch immer als märchenhaft. Die Geschichte ihrer Vermögen … ist in Wahrheit eine Kriminalgeschichte … eine Chronik voller hinterhältiger Mordtaten, Betrügereien, Landräubereien, voller Urkundenfälschungen und bis an den Rand gefüllt mit den Namen korrupter Regierungsbeamter, Parlamentarier und Minister«, schreibt Gustavus Myers in seiner berühmten Abhandlung über
Das große Geld: Die Geschichte amerikanischer Vermögen
.
Und da erhebt sich ja wirklich die Frage: Kann man so märchenhafte Vermögen wie jene der Morgans eigentlich legal verdienen? Kann man mit Moral der Stärkste im Sumpf des Wilden Westens werden? Kann man mit der Mentalität eines Methodistenpriesters der mächtigste Mann Amerikas und der Welt werden? Und kann man mit Samthandschuhen den größten Schifffahrtskonzern der Welt formen?
Natürlich nicht. Spezialität: mit Hilfe von faulen Tricks Geld aus dem Nichts schaffen. Legendär ist die Geschichte von den 5000 als alt und gefährlich eingestuften Schrottgewehren, die 1857 in einem Armeelager der Vereinigten Staaten vor sich hin gammelten. Nach dem Beginn des Bürgerkrieges 1861 kaufte ein Strohmann von J. P. Morgan die Flinten für 3,50 Dollar pro Stück und bot sie daraufhin als einwandfreie Ware dem Hauptquartier der Armee in St. Louis an – für 22 Dollar pro Stück, also gut das Sechsfache. »So wurde tatsächlich der Vorschlag gemacht, der Regierung 5000 ihrer eigenen Flinten zu je 22 Dollar zu verkaufen«. [23]
Typisch für Morgans effektive Transaktionen war dabei, dass die Flinten direkt vom Armeelager der Regierung in das Armeehauptquartier der Regierung geliefert wurden und das Kapital für die Transaktion vom Staat geliehen wurde. Dazwischen stand nur J. P. Morgan und hielt die Hand auf. Den USA drohte damit ein Verlust von etwa 92000 Dollar. Als die Sache aufflog und die USA sich weigerten zu zahlen, verklagte Morgan die Regierung der Vereinigten Staaten, bis die gesamte Summe gezahlt wurde. [24]
»Der Chef der Vereinigten Staaten«
Mit anderen Worten waren um die Jahrhundertwende nicht die Präsidenten oder die Industriekapitäne irgendwelcher Konzerne die mächtigsten Männer Amerikas, sondern niemand anderer als Gottvater persönlich, J. P. Morgan. Ja, mehr noch: Morgan galt auch als De-facto-Zentralbank der Vereinigten Staaten.
Tatsächlich übernahm Morgan bei den mutmaßlich von ihm selbst verursachten Krisen zentrale, koordinierende und ordnende Aufgaben im US -Finanz- und Bankensystem. Und wie das Zentralbanken auch heute tun, half Morgan dem Bankensystem und der Regierung der Vereinigten Staaten dabei scheinbar aus der Klemme. »Er war ›der Mann für alle Fälle‹, der eingriff, um eine Panik in der Finanzwelt aufzuhalten.« [34]
Ohne Morgan ging in den USA gar nichts, und schon bald würde ohne ihn und seine Banker-Kollegen noch weniger gehen. Als im Zuge der Panik von 1893 dem Finanzministerium zwei Jahre später das Gold ausging, besorgte Morgan mit einem privaten Konsortium der Regierung Gold im Wert von 65 Millionen Dollar, damit diese neue Staatsanleihen herausgeben konnte. Danach hievten Morgan und andere Wall Street Banker den Republikaner William McKinley mit großzügigen Spenden für seine Wahlkampagne ins Präsidentenamt. Als während der von ihm inszenierten Panik von 1907 dem Bankensystem das Geld auszugehen drohte, managte Morgan die Krise und verteilte frisches »Cash«. Er entwickelte die Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten durch den Aufbau kriegswichtiger und strategischer Industrien und eines starken Bankensystems; sein Konzern- und Beziehungsgeflecht bildete praktisch das wirtschaftliche und finanzielle Skelett der USA . Ein bekannter Reporter nannte ihn den »Chef der Vereinigten Staaten«.
Aber nicht nur das. In Wirklichkeit ging er bei Regierungschefs und Herrschern in aller Welt ein und aus. Weilte er zum Beispiel in Europa, machte er auch dem Machthaber des jeweiligen Landes seine Aufwartung, ob das nun Edward VII . von England, dessen Neffe Kaiser Wilhelm II . oder der italienische König war. »Viele hielten ihn für den mächtigsten Mann der Welt«, heißt es in Jeremy Bymans Morgan-Biographie.
Die Lizenz zum Gelddrucken
Noch besser wäre freilich eine Lizenz zum Gelddrucken. Nach Morgans Arbeit als »informelle Zentralbank« sollte die Zentralbank denn auch institutionalisiert werden.
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