Das Titanic-Attentat
Norddeutsche Lloyd des Kaiserreichs hatte der Krone den Rang abgelaufen und hielt sowohl den Titel für die größten Passagierschiffe als auch (seit 1897) das begehrte Blaue Band für die schnellste Atlantiküberquerung von Europa nach New York. Und zwar ausgerechnet durch ein Schiff mit dem Namen
Kaiser Wilhelm der Große
.
Der Fehdehandschuh war damit hingeworfen. Ab da machten deutsche Schiffe jahrelang das Rennen unter sich aus. Im Jahr 1900 gewann die
Deutschland
das Blaue Band, 1902 die
Kronprinz Wilhelm,
1904 die
Kaiser Wilhelm II .
Kurz und gut: Die deutschen »Royals« fuhren den britischen davon – ein enormer Gesichtsverlust für das britische Empire und »eine Staatsaffäre, die sich nur schwer mit dem britischen Stolz als Seefahrernation vereinbaren ließ«. [19]
»Wenn man die symbolische Bedeutung von Schiffen und der See für die Briten in Betracht zieht, überrascht es nicht, dass sie heftig auf Bedrohungen ihrer maritimen Überlegenheit reagierten«, so Daniel Grossman von der Titanic Historical Society. [20] »Eine dieser Enttäuschungen war der Verlust des Blauen Bandes, jene Ehrung, die dem Passagierschiff zuteilwird, das am schnellsten den Nordatlantik überquert. Nachdem britische Schiffe im Besitz der Trophäe waren, seit Passagierschiffe um 1840 begannen, den Atlantik zu überqueren, betrachteten die Briten das Blaue Band als ihren rechtmäßigen Besitz. Bis im November 1897 der Passagier-Liner
Wilhelm der Große
des Norddeutschen Lloyd den Atlantik mit einer Rekordgeschwindigkeit von 22,35 Knoten überquerte und den Cunard-Liner
Lucania
aus dem Feld schlug.«
Ein Gefolgsmann Großbritanniens
Lusitania
und
Mauretania
waren die Antwort auf die deutsche Siegesserie. Nicht zufällig hatte die Royal Navy etwa gleichzeitig mit deren Stapellauf 1906 auch eine neue Klasse von schnellen und schlagkräftigen Kriegsschiffen in Dienst gestellt, nämlich die Dreadnought-Klasse. Schlachtschiffe und Truppentransporter gehörten nun mal zusammen.
Mauretania
und
Lusitania
wurden zwar nicht von der Royal Navy gebaut, sondern von der zivilen Schifffahrtsgesellschaft Cunard Line. Dahinter stand jedoch die britische Krone. Die Cunard Line, Rivalin der
Titanic
-Reederei White Star, war eine nationale Institution und wurde von Samuel Cunard, einem treuen Gefolgsmann Großbritanniens, gegründet.
Die Geschichte der Familie ist eng mit der britischen Krone und Armee verbunden. Samuels Vater Abraham Cunard gehörte während der Amerikanischen Revolution gegen England zu den sogenannten Loyalisten, die Nordamerika lieber verließen, als von England abzufallen. So kam Abraham Cunard 1783 aus Pennsylvania, einem Gründerstaat der USA , in dessen Hauptstadt Philadelphia die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet wurde, nach Halifax. Der Krone und dem britischen Militär blieb er dort eng verbunden. In Halifax arbeitete er als Zimmermann für die britische Armee. 1799 wurde er zum Meisterzimmermann der Royal Engineers ernannt. Daneben machte sich Abraham Cunard als Kaufhausbesitzer und Landeigentümer selbständig und belieferte als Holzhändler die Royal-Navy-Werft
Halifax Naval Yard
. Mit selbst erworbenen Schiffen stieg er schließlich in den Handel mit Westindien ein. Im britisch-amerikanischen Krieg von 1812 wurde Abraham Cunard durch den Handel mit gekaperten Schiffen und der Versorgung der britischen Truppen reich.
Nachdem sein Sohn Samuel in demselben Krieg Freiwilliger des britischen Halifax-Regiments geworden und in den Rang eines Captains aufgestiegen war, investierte er in Dampfschiffe wie die
Royal William
sowie in eine Dampffährgesellschaft im Hafen von Halifax. Schließlich ging Samuel Cunard nach Großbritannien, wo er eine Schifffahrtsgesellschaft für den Verkehr zwischen England und Amerika gründete. Ihr erstes Schiff trug den Namen
Britannia
. 1859 wurde Samuel Cunard von Queen Victoria geadelt und in den Stand eines Baronets erhoben. Nach Samuel Cunards Tod 1865 und der Depression von 1873 wurde die Cunard Line 1879 als Aktiengesellschaft reorganisiert.
Den Erdball zwischen den Pfoten
Kurz: Die Cunard Line war so britisch wie Big Ben oder Fish and Chips. In seinem Logo trägt das Unternehmen bis heute die britische Krone, darunter hält ein Löwe den Erdball zwischen den Vorderpfoten – eine Beute, von der das deutsche Kaiserreich schließlich auch etwas abhaben wollte.
1897 forderte der spätere Reichskanzler Bernhard von Bülow für Deutschland einen »Platz an der Sonne«.
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