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Das Titanic-Attentat

Das Titanic-Attentat

Titel: Das Titanic-Attentat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Wisnewski
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Zähnen und Klauen darum, keine Männer an Bord der Rettungsboote zu lassen. Wieso »keine Männer« – »Frauen und Kinder zuerst«, hieß es doch!
    Auch dabei handelte es sich keineswegs um ein Gesetz oder eine Vorschrift an Bord von Schiffen. Niemand zwang die Schiffsführung, so zu verfahren. Vielmehr entsprach es lediglich den damaligen Gepflogenheiten, Frauen und ihre Kinder zuvorkommend und fürsorglich zu behandeln und ihnen bei allen möglichen Gelegenheiten den Vortritt zu lassen. So wurde es bei den nachfolgenden Untersuchungen auch als selbstverständlich betrachtet, dass an Bord der sinkenden
Titanic
scheinbar nach diesem Grundsatz verfahren wurde.
    Doch was einem als natürlich und »gentlemanlike« erscheint, war in Wirklichkeit alles andere als das. Denn eigentlich hätte es ja heißen müssen: »Passagiere zuerst«. Tatsächlich wäre dies nicht nur ein Gebot der Höflichkeit, sondern auch der Fürsorge der Besatzung gegenüber ihren Schutzbefohlenen gewesen.
    Die Passagiere waren die Gäste an Bord des Schiffes. Sie waren mit Hilfe von Werbung und allerlei Versprechen dazu gebracht worden, diese Reise zu buchen. Wenn jemand an Bord der
Titanic
also unverschuldet in diese gefährliche Lage geraten war, dann waren das die Passagiere – und zwar alle. Und wenn jemand dafür Verantwortung trug, dann die Besatzung. Wenn es zu jemandes Berufsrisiko gehörte, mit einem Schiff unterzugehen, dann für die Besatzung. Und wenn jemand mit einer Notlage auf einem sinkenden Schiff zurechtkommen würde, dann ebenfalls die Besatzung.
    Auch der
Titanic
-Überlebende und Untergangschronist Lawrence Beesley sah das »ungeschriebene Gesetz, dass Passagiere der Mannschaft vorgehen«. [149] Das heißt: Was einem hier als Ausdruck von Höflichkeit und Ritterlichkeit der Besatzung, aber auch der betroffenen Männer verkauft wurde, hatte damit gar nichts zu tun. In Wirklichkeit stellte es Höflichkeit und Ritterlichkeit auf den Kopf. Und es führte möglicherweise dazu, dass die Besatzung nur unzureichend um das Schiff kämpfte, da einige darunter ohnehin vorhatten, in die Rettungsboote zu steigen.
    »Warum überleben eigentlich 192 Männer der Besatzung, aber nur 146 männliche Passagiere?«, fragt Wolf Schneider zu Recht. [150] Waren also doch nicht alle Männer gleich, und standen die männlichen Passagiere unterhalb der männlichen Besatzungsmitglieder?
     
    Auch Beesley wundert sich darüber, dass Stewards statt männlicher Passagiere in die Boote gelassen wurden: Wäre den Männern gestattet worden, »mit ihren Familien in diese Boote zu gehen, so wären die Boote vernünftig bemannt gewesen und viele Menschenleben zusätzlich gerettet worden, statt dass man diesen Stewards erlaubte, sich in Sicherheit zu bringen unter dem Vorwand, dass sie rudern könnten, und dabei hatten sie keine Ahnung.« Schließlich hätten sich unter den Passagieren jede Menge reiche Müßiggänger befunden, »die erstklassige Sportler waren (Rudern eingeschlossen) und wahrscheinlich körperlich besser geeignet als ein Steward, stundenlang auf offener See zu rudern«. [151]
    Demnach hätten es also nicht nur Anstand und ungeschriebene Gesetze geboten, mehr Männer an Bord der Rettungsboote zu lassen, sondern auch sachliche Argumente. In Wirklichkeit wurden, kaum hatten die Boote abgelegt, mitunter sogar auch die Frauen zum Rudern gezwungen: »Eine im Gegensatz zu den Geschichten von Heldentum und Opfermut, die über das
Titanic
-Desaster erzählt wurden, brutale Geschichte wurde heute Abend von der überlebenden Frau J. J. Brown [die berühmte ›Molly‹ Brown; G. W.] aus Denver wiedergegeben«, schrieb am 20. April 1912 der
San Francisco Call:
»Vier Stunden lang musste sie die Ruder selbst bedienen. … ›Ich ruderte, bis meine Arme so schmerzten, als würden sie gleich abfallen‹, fuhr sie fort. … Als die Frauen in dem Boot baten, einen Mann zu retten, der in der Nähe zu ertrinken drohte, habe der Offizier angelehnt und gehöhnt ›Wir werden diesen reichen Yankee-Weibern schon noch beibringen, dass wir hier das Sagen haben.‹ Das Rettungsboot sei mit mehreren freien Plätzen zu Wasser gelassen worden, wobei jedoch einige Dritte-Klasse-Passagiere einen Platz bekamen. Nachdem das Boot etwas weiter weg gerudert worden war, kämpfte in einigen Fuß Entfernung ein Mann um sein Leben. Die Passagiere flehten den Offizier an, anzuhalten und ihn an Bord zu nehmen, doch der lehnte ab und befahl den Männern weiterzurudern, als ein

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