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Das Titanic-Attentat

Das Titanic-Attentat

Titel: Das Titanic-Attentat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Wisnewski
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Insasse rief ›Retten Sie ihn, oder wir werfen Sie über Bord!‹. Nachdem die anderen in den Schrei eingestimmt hätten, gab der Offizier den Befehl zum Wenden. Doch als das Boot ankam, war der Mann verschwunden.« (
San Francisco Call,
20. April 1912)
    Bei dem Offizier handelte es sich wahrscheinlich um den Steuermann Robert Hichens. »Ich werde vor den Untersuchungsausschuss des Senats gehen und alles bezeugen, was ich gesagt habe«, zitierte die Zeitung »Molly« Brown. »Hunderte von Menschenleben wurden in dieser Katastrophe unnötig geopfert, und ich möchte sehen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird«.
    Wie wir wissen, war das jedoch ein frommer Wunsch, denn niemand wurde für dieses »Massaker« bestraft. Und vor den Untersuchungsausschuss geladen wurde Molly Brown auch nicht.
    »Ich erschieße dich wie einen Hund!«
    In Wirklichkeit wurde der berühmte Alarmruf »Alle Mann von Bord!« bei der
Titanic
umgedreht. Dort hieß es stattdessen nur »Frauen und Kinder von Bord!« Männer, die in die manchmal nur halb vollen Boote steigen wollten, wurden vor allen Dingen auf Lightollers Backbordseite sogar mit Waffengewalt zurückgehalten. Sieht man sich die Tabelle am Kapitelanfang an, stellt man fest, dass es Männer auf der Backbordseite nur ganz vereinzelt in die Boote schafften, während auf der Steuerbordseite durchaus auch einmal zehn Männer in ein Boot gelangen konnten. Die Männer blieben häufig genug eben nicht aus Ritterlichkeit zurück oder weil es so elegant ist, für andere zu sterben, sondern weil sie mit Waffengewalt dazu gezwungen wurden.
    Tatsächlich erfuhr das Verhältnis zwischen Schiffsführung und Besatzung auf der einen und Passagieren auf der anderen Seite während des Untergangs der
Titanic
eine unheimliche Wandlung. Während die Boote gefiert wurden, bewaffnete sich die Schiffsführung.
    Chefoffizier Wilde erschien bei Lightoller »und fragte, wo die Waffen gelagert seien«. Vor der Abfahrt aus Southampton war Lightoller für die Lagerung der Schießeisen zuständig gewesen: »Er führte Wilde, William Murdoch und Kapitän Smith zu dem Spind in Murdochs Kabine, in dem die Waffen gelagert waren.« [152]
    Nun mag man das angesichts einer möglicherweise drohenden Panik vielleicht als normal ansehen; aber dennoch sollte man diese Wandlung im Verhältnis zwischen Schiffsführung und Passagieren im Auge behalten. Ab jetzt waren die Passagiere vollkommen in der Gewalt der Schiffsführung; jeder, der nicht spurte, wurde explizit oder implizit mit der Waffe bedroht.
    Angesichts des bisherigen skrupellosen Verhaltens der Schiffsführung ist es nicht leicht zu entscheiden, ob sich die Passagiere nun in den Händen einer verantwortungsvollen Schiffsführung oder aber einer bewaffneten Bande befanden. Tatsächlich gibt es wie bereits erwähnt einige Berichte, die einen Schusswaffengebrauch an Bord der
Titanic
oder der Rettungsboote bestätigen. So berichtete etwa Colonel Archibald Gracie, der Zweite Offizier Lightoller habe seine Pistole abgefeuert, um Dritte-Klasse-Passagiere aus einem der Rettungsboote zu vertreiben.
    Nachdem sie mit Gewalt von ihrem Ehemann losgerissen worden war, fand sich Charlotte Collyer in Rettungsboot Nr. 14 wieder: »Das Boot war praktisch voll, und es waren keine weiteren Frauen mehr in der Nähe, als der Fünfte Offizier Lowe an Bord sprang und befahl, es hinunterzulassen. … Ein Junge, kaum älter als ein Schuljunge, fast klein genug, um als Kind zu gelten, stand in der Nähe der Brüstung. Er machte keinen Versuch, sich in das Boot zu drängeln, obwohl seine Augen flehentlich an dem Offizier hingen. Als er begriff, dass man ihn wirklich zurücklassen wollte, verließ ihn der Mut, und mit einem Schrei stieg er auf die Brüstung und sprang hinunter in das Boot.
    Er fiel zwischen uns Frauen und versteckte sich unter einem Sitz. Ich und eine andere Frau versteckten ihn unter unseren Kleidern. Wir wollten dem armen Jungen eine Chance geben, aber der Offizier stellte ihn auf seine Füße und befahl ihm, zurück auf das Schiff zu gehen. Er bettelte um sein Leben. Ich erinnere mich, wie er sagte, er würde ja nicht viel Platz brauchen. Aber der Offizier zog seinen Revolver und drückte ihn ihm ins Gesicht: ›Ich gebe dir nur zehn Sekunden, um auf das Schiff zurückzugehen, bevor ich dir das Gehirn rausblase!‹, schrie er. Der Junge bettelte nur umso eindringlicher, und ich dachte, er würde auf der Stelle erschossen.
    Aber plötzlich änderte der Offizier seinen

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