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Das Todeshaus

Das Todeshaus

Titel: Das Todeshaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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versuchte dabei nicht an den Abgrund zu denken, der hinter der Brüstung lauerte. Für ihn hatte dieses Gefühl, hoch oben auf dem Dach der Welt zu sein, nichts Erhabenes an sich, vielmehr drehte sich ihm vor Angst der Magen um und sein Kopf fuhr Achterbahn.
    »Weiche Frost, bring Feuer«, wiederholte Sylva und ihr Gesicht erstrahlte im Glanz des Mondlichts noch frischer und lebendiger als jemals zuvor. Hatte Anna nicht irgendetwas von Frost und Feuer erzählt?
    Mist, wieso konnte er sich nicht erinnern?
    Und wenn er sich erinnern konnte, würde es überhaupt von Bedeutung sein?
    Denn es war seine Statue, seine Schöpfung, sein gottverdammtes Traumbild, das da auf dem Witwensteg wie ein monströser, aus Holz geschaffener Abgott stand, ein Symbol der Eitelkeit, des Glaubens und der Liebe. Ja, Liebe. Denn Mason liebte seine Arbeit.
    »Du wirst mich vollenden, nicht wahr, Bildhauer?« fragte die Büste, die noch immer von den Armen der mächtigen Statue umklammert wurde, mit ruhiger Stimme. »Du liebst mich doch. Jeder liebt mich.«
    »Du hast mir Anna versprochen«, erwiderte Mason.
    »Ach ja, die da. Sie ist ein Nichts. Ein notwendiges Übel. Und du wirst auch noch begreifen, dass Fleisch und Blut vergänglich sind, aber die Seele, die währt ewig. Nicht wahr, meine liebste Sylva?«
    »Wann man jemandem sein Herz schenkt, ist man dieser Person etwas schuldig«, sagte die Frau. Und obwohl sie jetzt eine Schönheit ausstrahlte, die es durchaus mit der von Anna aufnehmen konnte, verrieten die hässlichen Schatten um ihre Augen, die älter als die Appalachen selbst waren, dass ihr Innerstes dunkel, kalt und voller schrecklicher Geheimnisse war.
    »Dann löse deine Schuld ein«, verlangte Ephram. »Sprich den Zauber zu Ende.«
    »Beim dritten Mal wirkt er«, sagte sie. »Aber vorher hast du noch ein weiteres Versprechen einzulösen.«
    »Versprechen? Was für ein Versprechen?« Die Statue hielt ihr Gesicht in das Mondlicht und die Maserung des Eichenholzes funkelte wie Hunderte Diamanten. Frost. Auf dem Holz hatte sich Frost abgesetzt.
    Frost und Feuer.
    Mason war sich nicht sicher, welche Verbindung zwischen diesen beiden Worten bestand. Aber er wusste, was Feuer bedeutete. Neben der Brüstung sah er die Laterne leuchten, die Miss Mamie bei Korbans Ankunft dort abgestellt hatte. Mason fragte sich, ob er sie zu fassen bekam, noch bevor Korban sich entschied, dass es Zeit war, ein paar Menschen vom Dach seines Hauses in die Tiefe zu stürzen.

 
     
     
    72. KAPITEL
     
    »Anna«, rief Rachel noch einmal.
    Anna öffnete die Augen und sah nichts als Finsternis.
    Doch es war nicht vollkommen dunkel. Sie blinzelte.
    »Wo bin ich?« wollte sie wissen und ihre Stimme klang, als ob sie mit Hunderten Zungen gleichzeitig sprach.
    »Im Keller.«
    »Im Haus?«
    »Wir alle leben hier«, meinte jemand anders und sie spürte eine kleine, kalte Hand.
    »Du«, sagte Anna, »du bist doch das Mädchen aus der Hütte, das Sylva Becky genannt hat.«
    »Du bist gekommen, um uns zu helfen«, erwiderte das Mädchen lächelnd.
    »Ich kann euch nicht helfen«, entfuhr es Anna. Und auf einmal erblickte sie Rachel, die hinter dem Vorhang der Dunkelheit hervorgetreten war.
    »Ich musste auf dich warten, bis du stirbst, Anna«, erklärte Rachel. »Du besitzt die Gabe, bei dir ist sie sogar noch stärker ausgeprägt als bei mir. Korban hat mich getötet, weil er wusste, dass ich stärker bin als Sylva. Aber bei weitem nicht so stark wie du. Du hattest die Gabe schon zu Lebzeiten. Konntest Geister sehen. Aber du musstest sterben, damit du auch in die andere Richtung sehen kannst.«
    »In die andere Richtung?«
    »Ja, von den Toten zurück zu den Lebenden. Über diese Gabe sind wir miteinander verbunden. Wir können unsere Träume auf eine Weise bewahren, zu der Ephram niemals fähig gewesen wäre, denn er wollte seine Träume für sich allein haben. Er wollte unsere Angst und unseren Hass. Aber er hat die Macht des Glaubens verloren. Wir jedoch glauben an dich, Anna.«
    »Glaube. Der Glaube ist die größte Lüge der Menschheit.« Sie hätte gern gelacht, aber in diesem trostlosen, grauen Reich des Nichts durfte es kein Lachen geben.
    »Bitte glaube auch du an uns«, sagte Rachel. »Werde unser Kelch des Lebens. Lass unsere Träume, unsere echten Träume, in dich fließen. Nimm dich unserer Träume an, damit wir endlich sterben können.«
    »Ihr möchtet sterben?«
    »Mehr als alles andere auf dieser Welt«, sagte das Mädchen.
    »Hilf uns bitte«,

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