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Das Todeskreuz

Titel: Das Todeskreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Wetter waren gerade beendet, und schon bei dem ersten
Lied, »Torn« von Natalie Imbruglia, drehte sie die Lautstärke
hoch. Sie liebte diesen Song und kannte den Text seit Jahren
auswendig. Zerrissen, ich bin schon zerrissen, dachte sie und
konnte die Tränen kaum unterdrücken, als das Lied gespielt wurde.
Sie fuhr die Einfahrt hinauf und hielt vor dem Anwesen
ihrer Eltern. Sie blieb noch einen Augenblick sitzen, die Hände
um das Lenkrad gekrampft, die Augen geschlossen. Du musst
jetzt ganz ruhig und gelassen bleiben. Ganz egal, was nachher
auch sein wird, du wirst es überleben. Elvira, du bist stark, du
bist stark, du bist stark. Es geht um die Wahrheit und nichts als
die Wahrheit.
    Schließlich stieg sie aus und ging auf den Eingang zu, eine
hohe und breite Tür, fast ein Tor, mit goldfarbenen Beschlägen
und Ornamenten über dem Rundbogen. Eine Villa, wie es in Langen
und Umgebung keine andere dieser Art gab. Sie betätigte den
Türklopfer, Tanja, das Hausmädchen, kam und machte auf.
    »'n Abend«, sagte Elvira Klein und ging an der jungen Frau
vorbei, die ihr ebenfalls einen guten Abend wünschte. Ihr Vater
beschäftigte, seit sie denken konnte, immer nur junge Frauen
zwischen zwanzig und maximal fünfundzwanzig Jahren, die er
alle zwei Jahre austauschte. Sie hatte sich nie Gedanken darüber
gemacht, aber auf einmal sah sie auch dies in einem andern Licht.
    Tanja war, wie alle vor ihr, nicht nur bildhübsch und überaus attraktiv,
vor allem aber machte sie keinen dümmlichen Eindruck,
denn auf solche Frauen stand ihr Vater nicht.
    Ihre Mutter kam ihr entgegen, wie stets elegant gekleidet, obwohl
sie sich die meiste Zeit im Haus aufhielt, begrüßte sie mit
der ihr eigenen kühlen Distanziertheit (anders kannte sie ihre
Mutter gar nicht, sie konnte sich nicht einmal erinnern, wann sie
sich zuletzt umarmt hatten) und sagte: »Hallo. Dein Vater ist in
seinem Arbeitszimmer. Du möchtest ja sicherlich zu ihm.«
    »Ja, Mama. Wie geht's dir heute?«
    »Gut, warum?«
    »Warum? Weil es mich vielleicht interessiert? Du siehst gut
aus.«
    »Danke, du auch. Ich geh dann mal wieder in mein Zimmer.
Falls wir uns nicht mehr sehen, du bist herzlich eingeladen, am
Sonntag zum Essen zu kommen, vorausgesetzt, du hast nichts
anderes vor.«
    »Bis jetzt nicht. Und wegen Sonntag sag ich dir noch Bescheid.
«
    Du bist herzlich eingeladen! Wie oft hatte ihre Mutter das
schon gesagt, doch diesmal hörte es sich so anders an, als würde
eine Fremde mit ihr sprechen. Ihre Mutter war in ihr großzügig
geschnittenes und opulent ausgestattetes Zimmer im Souterrain
gegangen, ohne noch einmal einen Blick zurückzuwerfen. Dort
würde sie vielleicht noch etwas lesen oder fernsehen und sich
allmählich fürs Bett fertig machen. Seit Jahren schon schliefen
Elviras Eltern getrennt, und als sie dies einmal angesprochen hatte,
war die Antwort nur, dass es mit dem Schnarchen ihres Vaters
zu tun habe. Sie legte sich nie später als einundzwanzig Uhr hin,
mit Stöpseln in den Ohren und immer nur auf dem Rücken liegend,
und morgens stand sie mit den Hühnern auf, wie sie selbst
immer sagte.
    Mit einem Mal fröstelte sie, alles in diesem Haus kam ihr kalt
und unpersönlich vor, als hätte sie nie hier gelebt. Dabei hatte sie
noch ein großes Zimmer im ersten Stock, mit Postern von den
Idolen ihrer Jugend an der Wand, mit Puppen, die nebeneinander
auf dem Bett saßen, dem Fernseher, den sie seit einer halben
Ewigkeit nicht angeschaltet hatte, der Stereoanlage und so vielen
andern Dingen, die einst ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens
waren.
    Sie ging nach oben und über den langen Flur, bis sie vor dem
Arbeitszimmer ihres Vaters stand. Sie klopfte an, von drinnen
kam ein deutliches »Herein«. Sie drückte die Klinke herunter,
sah ihren Vater hinter seinem Schreibtisch sitzen, die Tagesschau
war seit ein paar Minuten vorbei, der Fernseher ausgeschaltet.
Sie schloss die Tür, machte zwei Schritte und blieb stehen.
»Hallo, Elvira, meine Lieblingstochter.« Er stand auf und umarmte
sie. »Was führt dich zu mir?« Er sah sie an, die Augen
leicht verengt, und sagte: »Irre ich mich, oder hast du am Telefon
nicht gut geklungen?«
    »Du irrst dich, mir geht's blendend«, log sie und setzte sich in
den weichen grünen Ledersessel vor dem Schreibtisch.
    »Darf ich dir etwas anbieten? Einen Cognac oder ...«
    »Nur ein Bier.«
    »Du und Bier? Das ist ja was ganz Neues. Aber gut, ich werde
Tanja

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