Das Todeskreuz
jetzt rechts und direkt hinter mir bleiben.« Er zog
aus der Jackentasche eine Taschenlampe, die er, bevor sie ausstiegen,
unbemerkt aus dem Seitenfach genommen und eingesteckt
hatte.
»Sie haben eine Taschenlampe?! Und wir latschen hier durch
die Finsternis und ...«
»War nur ein kleiner Test«, sagte er. »Außerdem werden die
Gestalten, die hier hausen, bei Taschenlampen leicht nervös.«
»Was für Gestalten?«
»Ich hab doch gesagt, ich habe eine Überraschung für Sie.
Gleich da vorne ist es.« Er deutete auf einen halbverfallenen roten
Wohnwagen, der in einer Reihe anderer Wohnwagen stand, in
einem großen Rund darum herum kaputte Autos, Wohnmobile,
Traktoren und anderer Autoschrott. »Ich mach die Lampe jetzt
wieder aus.«
Elvira Klein atmete nervös und klammerte sich noch fester an
Peter Brandt.
»Sie brauchen keine Angst zu haben, keiner wird Ihnen etwas
tun, heiliges Ehrenwort.«
»Und was macht Sie da so sicher?«
»Weil ich die Leute hier kenne.«
»Und warum schleppen Sie mich ausgerechnet hierher? Wollen
Sie sich einen Spaß mit mir machen? Danach ist mir heute
gar nicht zumute.«
»Mir auch nicht, ganz ehrlich. Das hat aber andere Gründe.«
»Und welche, wenn ich fragen darf?«
»Persönlicher Natur.«
»Aha.« Sie betonte dieses Aha, als wüsste oder ahnte sie, was
Brandts Problem war.
»Wir sind da«, sagte er und klopfte vorsichtig an die Wohnwagentür.
Drinnen brannte schwaches Licht, das entweder von einer
Kerze oder einer Petroleumlampe herrührte.
»Wer ist da?«, kam eine Stimme aus dem Wohnwagen.
»Peter. Mach auf.«
Die Tür ging auf, ein Mann mit grauem Bart und grauen Haaren
steckte den Kopf heraus und kniff die Augen zusammen.
»Wer ist das?«, fragte er vorsichtig.
»Meine Kollegin Frau Klein. Dürfen wir reinkommen?«
»Hab ich jemals nein gesagt?«
Brandt half Elvira Klein in den Wagen, in dem es angenehm
duftete. Es war aufgeräumt, eine große Kerze stand auf dem
Tisch, daneben ein Glas und eine Flasche Rotwein und ein aufgeschlagenes
Buch. Das Bett befand sich auf der anderen Seite und
war noch nicht benutzt, aus einem alten Kofferradio kam leise
Musik.
»Darf ich vorstellen«, sagte Brandt zu Klein, »das ist Prof. Dr.
Kuntze.«
»Angenehm.« Kuntze reichte Elvira Klein die Hand, die sie
zögernd nahm.
»Ebenfalls«, sagte sie mit unsicherer und skeptischer Miene.
Prof. Dr. Kuntze. Sie hatte schon viel von Obdachlosen gehört,
aber ein Prof. Dr. war bis jetzt noch nicht darunter. Manche wurden
Professor oder Doktor genannt, weil sie eine Brille trugen
und belesen waren, aber keiner von ihnen war ein echter Professor
oder Doktor. Innerlich musste sie schmunzeln, weil Brandt
ihn so anredete, wie er offenbar angeredet werden wollte. »Klein,
Elvira Klein.«
»Was führt euch zu so später Stunde in diese Gegend?«, fragte
Kuntze und deutete auf die Sitzbank. »Nehmt Platz. Ich habe
aber leider nichts anzubieten, ich war auf Besuch nicht vorbereitet.
Was kann ich für euch tun?« Kuntze hatte freundliche Augen,
sein anfängliches Misstrauen war sehr schnell gewichen. Elvira
Klein registrierte die sehr gepflegten Hände, den ebenso gepflegten
Bart und dass Kuntzes Schuhe sauber geputzt unter dem
Tisch standen.
»Gar nichts, wir waren rein zufällig in der Nähe und dachten
uns, wir schauen mal kurz vorbei. Wie geht's denn so?«
»Ich kann nicht klagen. Und bei dir?«
»Viel Arbeit, wenig Freizeit. Hast du irgendwas Neues gehört?
«
Kuntze schüttelte den Kopf. »Alles beim Alten. Der Prozess
wird vorläufig nicht neu aufgerollt. Wer außer mir würde schon
davon profitieren? So ist nun mal das Spiel, und wer sich nicht an
die Regeln hält, ist raus. Ich hab auch die Hoffnung aufgegeben,
dass sich da jemals was dran ändern wird. Die Interessenlage ist
einfach zu eindeutig. Würde ich gewinnen, würden auf einmal
eine Menge Leute viel verlieren, und das kann doch in unserer
Gesellschaft nicht angehen, oder?«, sagte er mit einer Spur Sarkasmus
in der Stimme.
Elvira Klein verfolgte die Konversation, ohne zu wissen, worum
es ging.
»Was für ein Prozess?«, fragte sie.
»Erklär ich dir nachher«, sagte Brandt, woraufhin Elvira ihn
verwundert ansah, hatte er sie doch zum ersten Mal geduzt.
»Sie sind noch nicht lange bei der Polizei, oder?«, fragte
Kuntze, den Elvira Klein auf Anfang bis Mitte fünfzig schätzte.
»Nein, Frau Klein ist erst seit ein paar Wochen bei uns. Sie hat
Jura studiert und
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