Das Todeskreuz
hören?«
»Ja, aber erst bei mir. Bring mich nach Hause und komm mit
hoch, ich kann und will noch nicht schlafen.«
»Okay.« Was mach ich bloß? Peter, du bist doch total durchgeknallt.
Über drei Jahre hast du dich mit Elvira Klein mehr
gezofft als vertragen, und j e t z t . . . Mach keinen Fehler. Nein, ich
mache keinen Fehler, ich bin alt genug, um zu wissen, was ich
tue. Und ich habe die Schnauze voll, ich will endlich auch mal
leben. Und außerdem, wer sagt denn, dass ich überhaupt etwas
mache. Wir sitzen gleich noch ein bisschen zusammen, dann fahre
ich nach Hause und fertig.
»Das ist eine unheimliche Ecke, zumindest bei Nacht. Bist du
öfter hier?«, fragte Elvira.
»Nicht so oft, wie ich eigentlich gern würde. Kuntze und auch
einige der andern sind schwer in Ordnung, auch wenn sie von der
Gesellschaft ausgekotzt wurden.«
»Das haben sie sich doch aber selbst zuzuschreiben. Kein
Mensch in diesem Land braucht in einem schrottreifen Wohnwagen
auf einer Müllkippe zu hausen. Jeder hat eine Chance, aber
manche nutzen sie einfach nicht. Wozu gibt es denn das Sozialamt?
Professor Doktor ... Wer hat ihm eigentlich diese Titel verpasst?
Er selbst?«, fragte sie ironisch.
»Erklär ich dir alles, wenn wir bei dir sind.«
Brandt raste durch die Nacht, nur zwanzig Minuten nach der
Abfahrt stoppte er vor dem Hochhaus.
»Und du willst wirklich, dass ich mit nach oben komme?«
»Hätt ich's sonst gesagt? Zier dich nicht so, wo wir doch schon
beim Du angelangt sind. Aber diesmal nehmen wir den Aufzug.«
»Ja, Frau Staatsanwältin. Einundzwanzig Stockwerke lauf
auch ich nicht hoch«, entgegnete er grinsend.
Sowohl der Securitymann als auch der Pförtner bemerkten sofort
die verdreckten Schuhe. Brandt beantwortete die unausgesprochenen
Fragen: »Sauwetter. Schönen Abend noch.«
Sie zogen die Schuhe vor der Wohnungstür aus und stellten sie
auf ein Handtuch im Bad.
»Darf ich dir was zu trinken anbieten? Bier, Wein?«, fragte
Elvira.
»Es ist mitten in der Nacht, und ich muss um halb neun schon
wieder im Frankfurter Präsidium sein.«
»Na und? Ich muss sogar bis nach Offenbach fahren. Um zehn
hab ich einen Gerichtstermin. Wie ich den überstehen soll, ist mir
ein Rätsel. Aber gut, wir können auch Wasser trinken.«
»Ein Bier.« Er fragte sich, warum er nicht müde war, obwohl
er seit fast neunzehn Stunden auf den Beinen war und der vor
ihm liegende Tag nicht weniger anstrengend werden würde. Sie
holte zwei Flaschen und Gläser und stellte alles auf den Tisch. Er
öffnete die Flaschen und schenkte ein.
Elvira sagte: »Wir müssen unser Du noch besiegeln.« Sie
legten die Arme umeinander, tranken einen Schluck und gaben
sich einen schnellen und sehr kurzen Kuss, nach dem Elvira ihren
Blick für einen Moment verschämt senkte. Danach sah sie
Brandt lange an und meinte mit sorgenvoller Miene: »Was wird
Andrea sagen, wenn sie davon erfährt?«
»Nichts.«
»Wieso nichts? Was soll das heißen?«
Er zuckte nur mit den Schultern und nahm einen weiteren
Schluck.
»Seid ihr etwa nicht mehr zusammen?«
»Das Leben ist permanenten Veränderungen unterworfen, wie
ich vorhin schon erwähnte.«
»Ist das wahr?«
»Es ist noch nicht offiziell, aber wir sehen uns kaum noch. Es
ist praktisch aus, und wenn du mir nicht glaubst, kannst du sie
selbst fragen.«
»Das tut mir leid.«
»Braucht es nicht, es war schon länger abzusehen. Aber ich
bin nicht hier, um mit dir über Andrea und mich zu sprechensondern
dir etwas über den Professor zu erzählen. Ich habe gesagt,
dass ich dir was zeigen will, weil du dein Leben als so ungerecht,
sinnlos und beschissen bezeichnet hast. Das waren doch
deine Worte? Ich kann in etwa nachvollziehen, was in dir vorgegangen
sein muss, als du mit deinem Vater fertig warst, aber es
gibt Menschen, die haben gar nichts, nicht einmal mehr eine Perspektive.
Prof. Dr. Kuntze war bis vor knapp fünf Jahren ein
höchst angesehener Chirurg, eine Kapazität, wie man nur wenige
findet. Bis ihm ein angeblicher Kunstfehler unterlaufen ist. Alles,
aber auch wirklich alles sprach gegen ihn, er hatte nicht einmal
die Rückendeckung seitens der Klinikleitung, obwohl man doch
immer wieder hört, dass die Ärzte sich gegenseitig decken. Nicht
in seinem Fall. Und warum? Er ist ein wahrer Philanthrop, ein
Menschenfreund, wie er im Buche steht, du hast ihn, wenn auch
nur kurz, selbst kennengelernt. Sein Fehler war, sich über die
allgemein
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