Das Todeskreuz
wollte dann aber doch zur Polizei«, sagte Brandt
schnell, bevor sie antworten konnte.
»Eine Juristin.« Kuntze nickte anerkennend. »Und wie
gefällt's Ihnen in Offenbach?«
»Gut«, erwiderte Elvira nur, weil sie nicht wusste, was sie
sonst sagen sollte.
»Sie sind jung und haben noch das ganze Leben vor sich. Aber
Sie sollten auf sich aufpassen, zu viel Stress bringt Verspannungen
mit sich. Sie wirken sehr verkrampft, wenn ich das so
sagen darf. Wenn Sie unter Beschwerden leiden, die mit dem Bewegungsapparat
und den Muskeln im Allgemeinen zu tun haben,
kommen Sie her, ich kenne da ein paar Methoden, um Ihnen zu
helfen. Und wenn's ums Herz geht, da kenn ich mich auch ein
wenig aus.« Dabei sah Kuntze Brandt vielsagend an, der nur
leicht nickte.
»Ich ... äh ...«
»Frau Klein wird demnächst bei dir vorbeischauen. Kann ich
irgendwas für dich tun?«
»Nein, danke, ich hab alles, was ich brauch. Weißt du, der
Herrgott hat mir so viel im Leben geschenkt, ich bin dankbar für
jeden Tag und für jede Erfahrung, wie schön oder wie bitter sie
auch gewesen sein mag. Ich bin gesund, soweit ich das selbst
beurteilen kann, ich habe ein paar Freunde, und keiner schreibt
mir vor, was ich zu tun und zu lassen habe.«
»Und die andern, wie geht's denen?«
Kuntze zuckte mit den Schultern und meinte: »Es geht.
Richard ist vor drei Wochen gestorben, ich weiß nicht, ob du davon
gehört hast. Er lag mit einem Mal tot in seinem Wohnwagen.
Herzinfarkt.«
»Richard?! Der war doch erst Anfang vierzig.«
»Das ist das gefährlichste Alter. Es gibt zahlreiche berühmte
Männer, die es in diesem Alter erwischt hat. Es ist schade, dass er
nicht mehr unter uns ist, aber so ist das Leben und so ist der Tod.
Zum Glück ging's bei ihm schnell.«
Sie blieben fast eine Stunde bei Kuntze, bis Brandt sagte: »Es
ist schon nach eins, wir müssen leider los, aber ich komm in den
nächsten Tagen mal vorbei. Wann kann ich dich denn am besten
erreichen?«
»Abends. Jetzt im Frühjahr bin ich viel unterwegs, die Natur
genießen, den Vögeln lauschen. Warum soll ich mich hier drin
verkriechen, wenn's draußen so schön ist? So ab neun würde ich
sagen.«
»Okay. Ich melde mich und danke, dass du dir Zeit für uns
genommen hast. Bis bald«, sagte Brandt und umarmte Kuntze
zum Abschied.
Der legte seinen Mund an Brandts Ohr und flüsterte: »Pass gut
auf die Kleine auf, sie ist ein ungeschliffener Diamant.« Und danach
lauter: »Ja dann, nett, dass ihr mich besucht habt, kommt
gut heim und ...«
»Wir haben Bereitschaft, ist aber nicht viel los«, sagte Brandt,
woraufhin ihn Elvira Klein einmal mehr verwundert anschaute.
»Komm, Elvira, wir müssen.«
Kuntze wartete an der Tür, bis Brandt und Klein in das Dunkel
der Nacht eingetaucht waren, verschloss die Tür von innen und
schenkte sich ein Glas Wein ein, trank es in langsamen Schlucken, zog sich aus, legte die Sachen fein säuberlich zusammen
und dann auf die Sitzbank und ging ins Bett, nicht ohne vorher
die Kerze ausgeblasen zu haben.
Mittwoch, 1.35 Uhr
Als sie außer Sichtweite waren, sagte Elvira Klein mit
einem spöttischen Unterton: »War es das, was Sie mir zeigen
wollten? Einen Professor im Wohnwagen?«
»Erfasst. Vorsicht, da vorne ist eine Pfütze.«
»Meine Schuhe sind sowieso reif für den Müll, die krieg ich
im Leben nicht mehr sauber.« Und nachdem sie die Pfütze umgangen
waren: »Und für so einen schlag ich mir die Nacht um die
Ohren? Er ist ja ganz nett, aber ...«
»Aber was? Ein Penner, der nicht in die Norm der sogenannten
normalen Gesellschaft passt? Ich erzähl dir was über den Professor,
aber erst, wenn wir im Auto sind ...«
»Wir bleiben beim Du?«, fragte sie errötend, was Brandt jedoch
nicht sah.
»Oh, Entschuldigung, aber ich konnte vor Prof. Kuntze meine
Kollegin doch unmöglich siezen, da wäre er sofort misstrauisch
geworden. Wir ...«
»Wir können von mir aus beim Du bleiben«, sagte sie wie
selbstverständlich. »Ich bin Elvira.«
»Peter«, entgegnete er schmunzelnd. »Aber besser nicht vor
den andern im Präsidium.«
»Warum? Hast du Angst, die könnten sich die Mäuler zerreißen?
«
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete er nach kurzem Überlegen.
»Das Leben ist permanenten Veränderungen unterworfen,
wie Kuntze sagen würde.« Brandt öffnete die Beifahrertür und
ließ Elvira Klein einsteigen, bevor er sich hinters Steuer setzte.
»Willst du seine Geschichte wirklich
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