Das Todeskreuz
ihr
gleich darauf einen entschuldigenden Blick zu, verzog den
Mund und lächelte gequält. »Sie hatte es eben.« Sie nahm das
Glas und trank einen Schluck, drehte es zwischen den Fingern
und fuhr fort: »Ich verstehe das alles nicht. Dieses Haus war
eine Festung, aber trotzdem war irgendwer hier und hat meine
Mutter umgebracht. Das will einfach nicht in meinen Kopf
rein.« Sie sah Durant hilfesuchend an, als könnte diese ihr eine
Antwort geben.
»Vielleicht gibt es Dinge, von denen Sie nichts wissen, weil
Sie davon nichts wissen durften oder sollten. Denn wie es aussieht,
hat Ihre Mutter am Freitagabend Besuch erwartet.«
Leslie sah Durant an, als wäre diese eine Außerirdische, und
schüttelte energisch den Kopf. »Wie kommen Sie denn auf diese
absurde Idee? Sie hat nie einen Fremden ins Haus gelassen, und
schon gar nicht abends, das müssen Sie mir glauben. Am Abend
wollte sie nur allein sein und ihre Ruhe haben. Naja, sie wollte
ja eigentlich immer nur allein sein, obwohl sie das Alleinsein gar
nicht ertrug und es am liebsten gehabt hätte, wenn jemand Vertrautes
ständig in ihrer Nähe gewesen wäre. Aber das war ja nicht
möglich. Sie war eine sehr gespaltene Persönlichkeit, wenn Sie
mich fragen.«
»Sind Sie da so sicher, dass sie abends immer allein sein
wollte?«
»Mehr als das. Nicht einmal ich durfte sie abends besuchen,
und das will schon was heißen.«
»Ich will Ihnen jetzt nicht alle Illusionen rauben, aber im
Schlafzimmer stehen eine Flasche Champagner und zwei Gläser.
Ich glaube kaum, dass Ihre Mutter aus zwei Gläsern getrunken
hat. Wie genau haben Sie Ihre Mutter vorhin angeschaut?«
Leslie sah Durant fragend an, kaute auf der Unterlippe und
antwortete schließlich: »Ich bin gleich wieder rausgerannt, weil
ich sofort gesehen habe, dass sie tot ist. Ich musste mich übergeben
und habe gleich danach die Polizei angerufen.«
»Wie sind Sie überhaupt hier reingekommen?«
»Ich habe einen Schlüssel.« Leslie zuckte mit den Schultern
und fuhr nach einem Moment fort: »Ganz ehrlich, ich weiß auch
nicht, warum ausgerechnet ich einen von ihr bekommen habe.«
»Und Sie sind nie auf die Idee gekommen, mal ganz unangemeldet
vorbeizuschauen?«, fragte Durant zweifelnd.
»Nein, ich musste immer vorher anrufen. Außerdem hatten
wir feste Termine, zu denen wir uns sahen. Eigentlich haben sich
die meisten unserer Gespräche am Telefon abgespielt. Ich hab's
hier drin nie lange ausgehalten. Ich hab mir immer vorgestellt,
wie es wohl ist, wenn hier ein Feuer ausbricht und man nicht
mal die Scheiben einschlagen kann. Nein, das ist nichts für
mich.«
»Spielten Männer im Leben Ihrer Mutter eine Rolle?«
»Um Gottes willen, nein! Männer waren für sie Ausgeburten
der Hölle. Naja, seit zehn Jahren etwa.«
»Aber es deutet alles darauf hin, dass sie doch einen Gast erwartet
hatte. Und nicht nur das, sie muss ihn auch hereingelassen
haben, denn ich gehe nicht davon aus, dass sich jemand gewaltsam
Zutritt zum Haus verschafft hat. Das ist ja, wie Sie selbst
sagen, unmöglich.«
Es entstand eine Pause, während der Leslie nervös die Haut
am rechten Daumen abpulte. Sie schüttelte immer wieder den
Kopf und meinte schließlich: »Es ist für mich einfach unvorstellbar,
aber wenn Sie es sagen. Andererseits glaube ich auch, dass
sie eine Menge Geheimnisse vor mir hatte.«
»Können Sie mir das näher erklären?«
»Es gab bestimmte Themen, die ich nicht anschneiden durfte.
Sie wurde dann sofort fuchsteufelswild.« Leslie sah zu Boden
und fuhr schließlich fort: »Ich kann es nicht beschreiben, aber
manchmal hatte ich richtig Angst vor meiner Mutter. Dann wieder war sie total nett und großzügig und, na ja, sie war oft total
aufgekratzt, als hätte sie irgendwas genommen. Man hätte einfach
mal einen Tag in ihrem Leben auf Video aufnehmen müssen,
dann würden Sie wissen, wie sie war.«
»Haben Sie sich gut verstanden?«, fragte Durant, obwohl sich
diese Frage nach Leslies Schilderungen im Prinzip erübrigte.
Es dauerte einen Moment, bevor Leslie antwortete: »Es ging.
Eigentlich eher nicht. Sie war ja nie wirklich für mich da. Ich
wurde von meinen Großeltern großgezogen, weil sie immer viel
beschäftigt war. Und nachdem das mit dem Überfall passierte,
wurde der persönliche Kontakt immer weniger. Meine Mutter hat
sich die Liebe durch Geld erkauft, zumindest hat sie es versucht.
Aber sie war nie eine Mutter, wie man sie sich vorstellt oder
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