Das Todeskreuz
vergewaltigt.«
»Und Sie haben nie mitgemacht?«, fragte Brandt zweifelnd.
»Ich konnte nicht, und ich wollte auch nicht. Ich bin kein gewalttätiger
Mensch, das müssen Sie mir glauben.«
»Und warum haben Sie sich nicht von Ihren sogenannten
Freunden losgesagt?«
Reiter lachte auf. »Wie denn? Sie kennen die Umstände nicht.
Ein Lossagen war einfach nicht möglich. Unsere Eltern waren
befreundet und auch geschäftlich miteinander verbunden, Magnus'
Vater ging später sogar in die Politik. Was also hätte ich
machen sollen? Vielleicht sagen: Ich will mit euch nichts mehr
zu tun haben? Es war wirklich unmöglich. Mein alter Herr hat
ganz große Stücke auf Magnus gehalten, hat immer wieder betont,
was für ein vorbildlicher junger Mann das doch sei und ich
froh sein könne, einen solchen Freund zu haben. Das ist die
Wahrheit, ob Sie's glauben oder nicht. Ich war umgeben von Verbrechern
und Schleimern. Die einzige Chance für mich wäre gewesen,
ganz weit wegzuziehen. Aber ich war doch noch von meinen
Eltern abhängig, ich war doch 1991 gerade mal sechzehn.«
»Und auf die Idee, sich Ihren Eltern oder gar der Polizei anzuvertrauen,
sind Sie nie gekommen?«
»Hab ich mich eben nicht deutlich genug ausgedrückt?!« Er
machte eine wegwerfende Handbewegung, den Mund abfällig
verzogen, als er fortfuhr: »Mit meinen Eltern konnte ich nicht
reden, und die Polizei ... Mein Gott, zu wem hätte ich denn gehen
sollen, und vor allem, wer hätte mir geglaubt? Ich war doch
ein Teil der Bande, wenn auch eher passiv. Ich hatte verdammte
Angst, die ganze Zeit hatte ich solch verdammte Angst, dass ich
manchmal tagelang nicht schlafen konnte. Da war zum einen
Magnus, der mir immer wieder mal so eine Drohung untergeschoben
hat. Der hat da so eine bestimmte Art, die schwer zu
beschreiben ist. Er spricht ganz ruhig und scheißfreundlich mit
einem, aber in Wirklichkeit hat er das gewetzte Messer schon in
der Hand. Und zum anderen war da die Angst, dass wir eines
Tages doch auffliegen könnten. Und ich war mir sicher, dass Magnus es so hinbiegen würde, dass er am Ende das Unschuldslamm
war, während ich und Thomas die eigentlich Bösen waren.
Zudem hatte er noch seinen Vater, der für seinen einzigen Sohn
alles, aber auch wirklich alles getan hätte und schließlich auch
getan hat und es immer noch tun würde. Der alte Möller ist selbst
ein Verbrecher, und wie heißt es so schön, der Apfel fällt nicht
weit vom Stamm. Jedenfalls, wir haben alles Mögliche angestellt,
wir haben kleine Geschäfte und Kioske überfallen, aber
immer nur Läden, wo es keine Überwachungskameras gab. Was
soll's, ich kann es nicht mehr rückgängig machen, und vielleicht
haben Sie recht, vielleicht hätte ich mehr Rückgrat zeigen müssen,
aber da war diese verfluchte Angst.«
»Erzählen Sie, was sich am 31. Oktober 1995 und am 14. Dezember
1995 abgespielt hat.«
Reiter setzte sich, nahm einen Schluck aus der Wodkaflasche
und schüttelte sich, bevor er antwortete: »Magnus hatte Waffen
besorgt, unter anderem eine Pumpgun. Er hat Thomas und mir
am 31. Oktober erzählt, dass er in Frankreich war und das Zeug
in Straßburg erworben hat. Ich hatte da schon ein ziemlich mulmiges
Gefühl, denn mit Waffen wollte ich nichts zu tun haben,
weil ich genau wusste, dass er sie nicht zum Spaß gekauft hatte.
Ich hab ihn auch gefragt, was er damit vorhat, aber er hat mir
keine Antwort gegeben. Jedenfalls waren wir mal wieder unterwegs,
nachdem eine ganze Weile nichts passiert war, das heißt,
wir hatten nichts angestellt. Magnus saß am Steuer, ich auf dem
Beifahrersitz und Thomas hinten. Es war stockfinster, und wir
sind so mit zweihundert über die Autobahn gerast. Es war nur ein
Auto vor uns, ein Omega, der auf der rechten Spur gefahren ist.
Plötzlich hat Thomas von hinten gesagt, Magnus solle doch mal
neben den fahren. Ich hatte keine Ahnung, was gleich kommen
würde, aber Magnus hat gegrinst, weil er genau gesehen hat, was
Thomas auf dem Rücksitz machte. Er hatte die Pumpgun in der
Hand und ließ, als wir neben dem Omega waren, das Fenster
runter, und dann hörte ich nur noch diesen ohrenbetäubenden
Knall, dass ich dachte, mir platzt das Trommelfell.«
Reiter schüttelte den Kopf und fuhr sich mehrfach nervös
übers Gesicht, sprang wieder auf und lief zum Fenster. Brandt
ließ ihn gewähren, unterbrach ihn nicht, stellte keine Fragen,
denn er wusste, Reiter würde gleich den Rest der
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