Das Todeskreuz
weiß nicht, was da geschehen ist, doch
eines Tages kam ein Anruf, und jemand hat gesagt, dass Corinna
aufpassen soll, sie würde mit ihrem Leben spielen.« Frau Sittler
senkte den Blick und schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Wer war der Anrufer?«
»Er hat seinen Namen nicht genannt, er hat nur gesagt, dass
wir Corinna das ausrichten sollen. Sie sei korrupt und würde ihre
Stellung missbrauchen. Mein Mann und ich haben ihr davon berichtet,
woraufhin sie nur mit den Schultern gezuckt und gesagt
hat, solche Spinner gebe es nun mal, das bringe ihr Beruf eben so
mit sich. Und außerdem sei sie nicht korrupt, das sei eine infame
Unterstellung.«
»Erinnern Sie sich noch, wann dieser Anruf einging?«
»Das war im Februar 96. Kurz darauf hat sich der Anrufer
noch einmal bei uns gemeldet und seine Drohung wiederholt und
gesagt, er würde nur auf die passende Gelegenheit warten, um
Corinna umzubringen. Er würde ihr die Kehle durchschneiden,
damit sie nie wieder ihr Maul aufmachen kann.«
»So deutlich hat er sich ausgedrückt?«
»Ja, so deutlich. Mir ist der Schreck gehörig in die Glieder
gefahren, das können Sie mir glauben.«
»Hat er auch Ihnen, Ihrem Mann und Ihrer Enkelin gedroht?«
»Nein, er hat sogar ausdrücklich gesagt, dass es ihm nur um
Corinna gehe und wir keine Angst zu haben brauchten.«
»Wie oft hat er sich insgesamt bei Ihnen gemeldet?«
»Dreimal.«
»Haben Sie die Polizei eingeschaltet?«
»Nein, weil Corinna uns das untersagt hat. Sie hat gemeint,
das sei allein ihre Angelegenheit, und wenn wir nicht bedroht
würden ... Nicht lange danach ist der Kontakt zu Corinna abgebrochen. Und kurz darauf war das mit dem Überfall, den sie nur
knapp überlebte.«
»War der Anrufer Deutscher, oder hatte er einen fremdländischen
Akzent?«
Frau Sittler machte ein ratloses Gesicht. »Er klang ganz normal,
aber sehr erregt, auch wenn er versuchte ganz ruhig zu bleiben.
Daran erinnere ich mich noch, als wäre es gestern gewesen.
Und ein Ausländer war er bestimmt nicht.«
»Er hat Ihnen aber nicht verraten, warum er Ihre Tochter umbringen
wollte?«
»Nein.«
»Und Sie haben auch nie mit Ihrer Enkelin über diese Vorfälle
gesprochen?«
»Nein, auch das nicht. Schauen Sie, sie war noch jung, gerade
mal fünfzehn Jahre alt, und sie mit so etwas zu belasten, nein, das
wollten wir nicht. Sie hatte es so schon schwer genug.«
»Was meinen Sie damit?«
Frau Sittler seufzte auf und antwortete: »Leslie hatte keine
Mutter. Das heißt, sie hatte schon eine, aber die hat sich einen
feuchten Kehricht um sie geschert. Ich weiß nicht, was in meiner
Tochter vorging, ich werde es auch nie begreifen, aber sie war so
auf sich fixiert, dass alles um sie herum belanglos wurde. Sie
hatte manchmal eine Art an sich, die ... Wie soll ich es nur ausdrücken,
aber sie konnte so herablassend sein, selbst uns gab sie
oft das Gefühl, wir seien doch nichts gegen sie, die große Staatsanwältin.
Dabei war mein Mann Oberstudienrat am Gymnasium,
und ich selbst habe auch lange als Lehrerin gearbeitet, bis Leslie
geboren wurde. Ich habe meinen Beruf aufgegeben, damit Corinna
in Ruhe studieren konnte. Doch was sind schon Lehrer gegen
eine Juristin?!«, fügte sie bitter hinzu.
»Aber Ihre Enkelin hatte doch regelmäßigen Kontakt zu ihrer
Mutter.«
»Sicher, und das war auch gut so. Glauben Sie mir, ich hätte
mir auch gewünscht, dass das Verhältnis zwischen Corinna und
uns besser gewesen wäre. Es war ihr Beruf, der sie verändert
hat.«
»Wie war sie als Kind?«, fragte Durant.
Frau Sittler ließ sich mit der Antwort Zeit und sagte schließlich:
»Sie wollte immer ihren Kopf durchsetzen und im Mittelpunkt
stehen. Vielleicht waren das schon die ersten Zeichen,
die wir aber nicht gemerkt haben. Sie war schließlich unser
einziges Kind. Der große Fehler war wohl, dass sie immer
alles bekommen hat, was sie wollte. Mehr möchte ich dazu
nicht sagen.«
»Gab es häufig Auseinandersetzungen zwischen Ihnen?«
»Ja, leider.«
»Und dieser endgültige Bruch zwischen Ihnen und Ihrer Tochter
kam nach den Anrufen?«
Frau Sittler nickte. »Mein Mann und ich haben sie natürlich
zur Rede gestellt und sie gefragt, ob sie etwas Unrechtes getan
habe. Ein Wort gab das andere, Corinna wurde ziemlich ausfällig
und ist gegangen und hat sich danach nie wieder bei uns gemeldet.
Wir haben bei ihr angerufen, wir haben ihr geschrieben, wir
sind sogar nach Darmstadt zur
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