Das Todeskreuz
Dame
unbekannt. Sie hat die Sittler nie zu Gesicht bekommen. Aber an
dem goldenen Kanzleischild steht in großen Lettern -Anwaltskanzlei
Frantzen und Partnern-. Laut der Sekretärin war sie eine
von vier Partnern. Über ihre genaue Tätigkeit konnte sie uns aber
keine Auskunft geben. Wir haben noch versucht mit ein paar andern
Anwälten, die dort durch die Flure huschen, zu sprechen,
doch keiner von denen konnte uns nähere Angaben zu ihrer Person
machen.«
»Konnte oder wollte keiner Angaben machen?«, hakte Durant
nach.
Kullmer steckte sich einen Kaugummi in den Mund und meinte:
»Ich denke, einige konnten nicht, andere wollten nicht. Warum auch immer. Das ist auch ein Riesenladen. Auf jeden Fall
scheint das eine Frau voller Rätsel und Geheimnisse gewesen zu
sein. Kurz bevor wir gegangen sind, hat die Sekretärin uns zugeflüstert,
dass die Sittler für sie wie ein Phantom gewesen ist.«
»Inwiefern?«
»Das haben wir sie auch gefragt, aber sie hat uns keine Antwort
darauf gegeben. Mir kam es vor, als hätte sie Angst.«
»Vor was oder vor wem?«, wollte Durant wissen.
»Keinen Schimmer«, antwortete Kullmer und sah seine Kollegin
und Lebensgefährtin Doris Seidel an. »Vielleicht vor ihrem
Chef?«
»Es ist so, wie Peter sagt. Frantzen ist morgen ab elf in der
Kanzlei, dort wird er uns Rede und Antwort stehen müssen. Andererseits
habe ich mir Gedanken gemacht, ob dieser Fall wirklich
so brisant ist, oder ob wir's nicht doch mit einem ganz normalen
Verbrechen zu tun haben, wenn ihr versteht. Die Sittler hat
Besuch erwartet und wurde umgebracht. Hat's schon öfter gegeben.
«
»Nein, da steckt viel mehr dahinter«, widersprach Durant.
»Der Mord war lange geplant, aber das habe ich heute Vormittag
doch schon alles dargelegt. Die Sittler war kein Unschuldslamm,
die hatte meiner Meinung nach sogar eine Menge auf dem Kerbholz.
Ist aber nur ein Gefühl. Ich will gleich noch mal mit ihrer
Tochter sprechen, denn ich glaube, dass sie mir längst nicht alles
über ihre Mutter gesagt hat.«
Im Folgenden berichtete Durant über ihr Gespräch mit Alina
Cornelius, wobei sie ein paar Details ausließ, und als sie geendet
hatte, sagte Berger: »Diese Frau Cornelius ist also Psychologin.
Und sie hat zehn Jahre lang für die Sittler gearbeitet, hat den
Haushalt geführt und ...«
»Richtig. So ganz kapier ich das auch nicht. Ihr hättet sie sehen
müssen, todschick gekleidet, sehr hübsch, attraktiv und natürlich
gebildet. Jetzt kommt aber der Hammer. Die Sittler hat die Cornelius des Öfteren abends und nachts zu sich bestellt, und dabei kam
es auch zu sexuellen Handlungen. Die Cornelius versicherte mir,
dass sie eigentlich hetero ist, aber wenn ich mit jemandem nicht
intim sein will, dann bin ich es auch nicht, es sei denn, mir gefällt
es. Auf meine Frage, ob die Sittler auch Männerbekanntschaften
hatte, antwortete sie mit einem kategorischen Nein. Da hege ich
jedoch meine Zweifel, denn die Cornelius sagt, dass es zwei
Abende in der Woche gab, in denen sie nie zu ihrer Chefin gerufen
wurde, nämlich dienstags und freitags. Und wie wir wissen, wurde
die Sittler an einem Freitag umgebracht.«
Kullmer machte die Beine lang und sagte: »Wenn ich das richtig
verstanden habe, gibt es außer der Toten nur zwei Personen,
die einen Schlüssel zum Haus haben, die Tochter und die Cornelius.
Was, wenn es doch eine von beiden war? Ich meine, das
Alibi der Cornelius scheint ja ganz gut zu sein, es würde sogar
mit der Aussage übereinstimmen, dass sie nie an einem Freitag
bei der Sittler war. Aber was, wenn genau das gelogen ist? Sie
kennt sich im Haus besser aus als irgendjemand sonst. Vielleicht
ist ihre ganze Geschichte von vorn bis hinten erfunden?«
»Ich werde es überprüfen, aber ich glaube nicht an die Cornelius
als Mörderin. Welches Motiv sollte sie denn haben, die Hand,
die sie füttert, umzubringen? Ich sehe keins. Dazu kommt, dass
sie auf meine Fragen sehr sicher und gezielt geantwortet hat,
doch nicht so, dass es einstudiert klang. Übrigens hat sie mir das
mit der Psychologin erst erzählt, als ich eigentlich schon am Gehen
war. So quasi en passant. Daraufhin habe ich ihr noch ein
paar Fragen gestellt. Glaubt mir, die Cornelius war's nicht. Ich
werde sie aber gerne noch mal unter die Lupe nehmen.«
»Und die Tochter?«, fragte Seidel.
»Nein, die war völlig durch den Wind, als ich ankam. Die hat
geheult, wohl weniger, weil ihre Mutter tot war,
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