Das Todeskreuz
stand
auf. Da war kein Vorwurf in ihrer Stimme, sie hatte gewusst, worauf
sie sich einließ, als sie sich kennenlernten und zu heiraten
beschlossen.
»Ja, ja, mach dich nur lustig über mich. Aber was sind schon
diese neun Jahre? Die kriegen wir doch auch noch rum, oder?«,
sagte er und nahm sie in den Arm. »Hat sich Andrea schon gemeldet?
«
»Nnnein«, antwortete sie nur.
»Wirklich nicht?«, hakte er misstrauisch nach, denn dieses
Nein kam ihm etwas zu zögerlich. »Guck mich an«, sagte er grinsend.
»Naja, nur kurz. Sie wollte dich sprechen.«
»Ach komm, sie hat dir doch bestimmt erzählt, ob sie die Stelle
bekommen hat.«
»Naja, wir haben uns ein bisschen unterhalten ...«
»Marcia, jetzt spann mich nicht auf die Folter. Hat sie die Stelle
bekommen oder nicht?«
»Hast du Hunger?«, wich sie aus, während ihr Kopf an seiner
Schulter lag, bevor sie sich aus der Umarmung löste und ihn von
unten herauf ansah, auch wenn Berger selbst nur knapp über
einssiebzig war, denn Marcia maß nicht einmal einssechzig. Ihre
Augen blitzten kurz auf, Augen, in die er sich schon beim ersten
Treffen verliebt hatte. Braun und warm wie ihre Stimme und ihr
ganzes Wesen. Dennoch war Marcia eine resolute, durchsetzungsfähige
Frau, die jedoch nie die Konfrontation suchte, sondern
es auf höchst subtile Weise schaffte, ihren Mann und auch
andere von ihrer Meinung zu überzeugen. Manchmal fragte er
sich, womit er dieses Glück verdient hatte, eine Frau kennenlernen
und lieben zu dürfen, die im Februar dreiundvierzig geworden
war, während er in wenigen Wochen seinen fünfundfünfzigsten
Geburtstag feierte.
»Nein, ich hab mich eben in Darmstadt mit jemandem getroffen
und dort was gegessen. Und wenn du mir jetzt nicht sofort
eine Antwort gibst...«
»Also gut, deine Tochter fängt bei euch an. Ihr habt eine neue
Kriminalpsychologin. Aber eigentlich wollte sie dir diese freudige
Mitteilung selbst überbringen. Du hast es nicht von mir,
okay?«
»Heiliges Indianerehrenwort. Ich wusste, sie würde es schaffen
«, sagte er triumphierend, zog seine Schuhe aus und hängte die
Jacke an die Garderobe. »Mit ihrer Ausbildung und den Erfahrungen,
die sie in den Staaten gesammelt hat, wird sie uns in Zukunft
sehr helfen können. Klasse. Einfach klasse, klasse, klasse!
Sie wird ihren Weg gehen, sie hat ein unglaubliches Gespür, das
hab ich immer schon gemerkt. Wenn wir jetzt kriminalpsychologischen
Rat brauchen ... Ach, ich mach schon wieder Pläne.«
»Das ist doch schön. Mit wem hast du dich denn in Darmstadt
getroffen? War's ein Er oder eine Sie?«
»Wenn es eine Sie gewesen wäre, hätte ich dir garantiert eine
andere Geschichte aufgetischt. Nein, Spaß beiseite, es war ein
Informant, der mir wesentliche Unterlagen zu einem aktuellen
Fall anvertraut hat. Ich muss die wenigstens mal überfliegen, damit
ich morgen meine Kollegen unterrichten kann.«
»Soll ich dir eine Kanne Pfefferminztee machen?«, fragte
Marcia, weil sie wusste, wie gerne er an langen Arbeitsabenden
und -nachten diesen Tee trank.
»Dazu sag ich natürlich nicht nein. Ich bin drüben.«
»Ein schwerer Fall?«, fragte sie, was aber nicht neugierig
klang, sondern mitfühlend, denn sie kannte ihn nun schon seit
über fünf Jahren und konnte seinen Gesichtsausdruck und seinen
inneren Zustand sehr wohl deuten. Sie war nicht nur hübsch, sondern
verfügte auch über einen sechsten Sinn. Sie hatte diese Antennen,
die ihr signalisierten, wenn mit Berger etwas nicht
stimmte. Und sie hatte Berger nach dem Verlust seiner ersten
Frau und seines Sohnes wieder Kraft und Mut zum Leben gegeben.
Er hatte aufgehört zu rauchen, seit fast fünf Jahren keinen
Tropfen Alkohol mehr angerührt, trieb Sport, joggte jeden Morgen
eine Stunde, sofern es seine Zeit erlaubte, und ging mindestens
einmal in der Woche zum Schwimmen. Und er hatte vor
allem gelernt, wieder Gefühle zu zeigen, von denen er lange geglaubt
hatte, sie wären mit dem schrecklichen Schicksalsschlag
vor nunmehr dreizehn Jahren auch gestorben. Als sie sich kennenlernten,
war anfangs noch eine Barriere zwischen ihnen, doch
sie hatte es verstanden, diese Barriere zu überwinden und zu ihm
durchzudringen. Und dabei hatte sie einen Mann getroffen, der
eigentlich nur eines wollte, lieben und geliebt werden. Sie streichelte
ihm noch einmal über die Hand und ging in die Küche, um
Wasser aufzusetzen und den Tee aufzugießen. Auf einen Teller
tat sie ein paar
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