Das Todeskreuz
Tatendrang. Die Fotos vom Tatort
jedoch zeigten das genaue Gegenteil, ein gekrümmt auf dem
Boden liegendes Mädchen, die Kleidung zerrissen, ein Loch im
Kopf. Und sie hatte einen Verlobten, den sie laut seiner Aussage
und auch der Aussage ihres Bruders und ihrer Eltern einmal heiraten
wollte, weil sie sich schon seit dem Sandkasten kannten
und irgendwann merkten, dass sie sich ineinander verliebt hatten.
Und dann kam jener verhängnisvolle Abend am 14. Dezember
1995, als sie entweder freiwillig in den BMW von Magnus Möller
einstieg oder dazu gezwungen wurde. Was danach geschah,
war ausführlich und sehr detailliert in den Akten vermerkt. Die
Nacht vom 14. auf den 15. Dezember 1995 war die letzte Nacht,
die sie erlebte. Eine schreckliche, grausame Nacht, in der Laura
Kröger misshandelt, vergewaltigt und aufs Schlimmste gequält
und gedemütigt worden war. Über zehn Jahre lag diese Tat zurück.
Peter Guttenhofer, zweiundvierzig, verheiratet, drei Kinder,
aus einem fahrenden Auto heraus erschossen, während er selbst
am Steuer seines Wagens gesessen hatte. Ein äußerlich eher unscheinbarer
Mann mit Halbglatze, einer großen langen Nase,
schmalen Lippen, hervorstehendem Kinn und einer Narbe auf
der Stirn. Er hatte gerade ein Haus gebaut und führte eine alteingesessene
Schreinerei, die er von seinem Vater übernommen hatte.
Ermordet am 31. Oktober 1995. Einfach so, ohne jeden ersichtlichen
Grund. Aus Lust am Töten, wie Kremer so treffend
formuliert hatte. Lust am Töten, am Vergewaltigen, am Quälen.
Verdammte Saubande, dachte Berger mit geballten Fäusten,
stellte sich ans Fenster und schaute hinaus in die Nacht. Er war
nicht nur wütend, er war über die Maßen zornig und enttäuscht
über ein System, in dem auch er, wie Dr. Kremer schon gesagt
hatte, nur ein Rädchen in einem riesigen Uhrwerk der Justiz war.
Austauschbar, ersetzbar. Auch er spielte ab sofort mit dem Feuer
und wusste, wie gefährlich die kommenden Tage und vielleicht
Wochen oder gar Monate werden würden. Es wird möglicherweise
ein Ritt auf der Rasierklinge, dachte er und kaute auf der
Unterlippe.
Er war müde und würde doch nicht schlafen können, denn
noch nie in seiner Dienstzeit war er mit derartigem Material konfrontiert
worden, und noch nie kam er sich so hilflos vor. Wozu
sind wir Bullen eigentlich da?, fragte er sich. Wir machen die
ganze Drecksarbeit, und am Ende ist doch alles umsonst. Ich
hab's oft genug erlebt. Wir klären einen Fall, und dann werden
uns plötzlich die Akten aus den Händen genommen. Oder wir
stehen kurz davor, und es heißt, wir seien nicht mehr zuständig.
Oder wir bitten um Amtshilfe, und es wird uns förmlich mitgeteilt,
es seien keine Kapazitäten frei. Ich bin echt gespannt, wie
die Durant darauf reagieren wird. Nee, darauf brauch ich nicht
gespannt zu sein, ich kenn sie ja, die wird wie das HB-Männchen
in die Luft gehen, und Kullmer und Seidel auch. Für einige Sekunden
dachte er an Hellmer, von dem er wusste, dass er große
Probleme hatte. Probleme, die er nur zu gut kannte, vor allem
jene, die mit dem Teufel Alkohol zu tun hatten. Auch wenn die
andern meinten, er wisse nicht, welches eines von Hellmers
Hauptproblemen war, so wusste er zumindest von einer andern
Frau, die dazu noch die Frau von dem alten Bekannten und beliebten
Psychiater, Psychologen und Kriminalpsychologen Prof.
Richter war. Einer, der dem K 11 schon einige Male hilfreich zur
Seite gestanden hatte. Und Berger wusste auch, dass Hellmers
Alkoholproblem auf diese Affäre zurückzuführen war. Er hoffte
inständig, dass Hellmer sich wieder fangen würde, aber er kannte
auch diesen Promilleteufel, der einen, wenn er sich mal festgebissen
hatte, nicht mehr so leicht losließ. Mehr als acht Jahre war
er selbst diesem Teufel hörig gewesen, hatte jeden Tag mindestens
eine Flasche Weinbrand, manchmal auch mehr getrunken,
im Dienst, zu Hause und irgendwo in irgendeiner Kneipe. Den
Kummer und den Schmerz wegen des sinnlosen Verlustes seiner
ersten Frau und seines Sohnes wegspülen. Er war immer fetter
und auch teilnahmsloser geworden, und im Nachhinein wunderte
er sich, dass er überhaupt noch fähig gewesen war, seine Arbeit
als Kommissariatsleiter zu erledigen. Aber er hatte es geschafft,
und auch Hellmer würde es schaffen. Er war ein zu guter Mann,
als dass Berger ihn fallenlassen würde.
Er schlug den letzten Ordner zu, zog sich bis auf die Unterwäsche
aus und legte sich
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