Das Todeswrack
waren identisch. Sie scrollte nach unten. Weitere Steinköpfe rückten ins Bild. Sie hätten allesamt von demselben Künstler stammen können. Abgesehen von kleinen Unterschieden, vor allem bei der Kopfbedeckung, verfügten sie über denselben finsteren Blick, die breite Nase und die teilnahmslosen fleischigen Lippen. Unter den Bildern befand sich eine weitere Nachricht von Sandy:
Noch mal hallo! Willkommen zu einem der hartnäckigsten mittelamerikanischen Geheimnisse. 1938 schickten die National Geographie Society und die Smithsonian Institution eine Expedition nach Mexiko, um Berichten nachzugehen, es gebe dort riesige Basaltköpfe, die bis zu den Augenbrauen im Sand steckten. Man fand elf afrikanisch anmutende Felsfiguren wie diese an drei Orten in und um La-Venta, dem heiligen Zentrum der Olmeken-Kultur. Achtzehn Meilen vom Golf von Mexiko entfernt. Jeder Kopf zwei bis drei Meter hoch und bis zu vierzig Tonnen schwer. Nicht schlecht, wenn man berücksichtigt, dass der zugehörige Steinbruch in zehn Meilen Entfernung liegt und die Köpfe über Land geschleppt wurden, und zwar ohne Gebrauch des Rads oder die Hilfe von Zugtieren. Alle hatten diesen komischen Helm auf, so dass sie wie Footballspieler aussehen. Werden auf 800 bis 700 v. Chr. datiert. Sag mal, was hat ein hübsches Mädchen wie du denn in Mittelamerika verloren?
Nina schrieb eine schnelle Antwort:
Danke für die Info. Höchst interessant! Bin nächste Woche wieder zu Hause. Werde dir alles erklären. Viele Grüße, Nina.
Sie drückte die Taste zum Senden, schaltete den Laptop aus und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Sie war völlig verblüfft.
Ein mexikanischer Olmeken-Kopf! Immer mit der Ruhe, junge Frau. Halt dir die Fakten vor Augen. Die Skulptur, die sie gefunden hatte, besaß afrikanische Merkmale. Na toll.
Schließlich
war
sie hier in Afrika. Außerdem erklärte das nicht die Übereinstimmung mit diesen mexikanischen Figuren in Tausenden von Meilen Entfernung. Es gab dafür mehrere denkbare Begründungen. Die La-Venta-Köpfe könnten in Afrika angefertigt und nach Mexiko transportiert worden sein.
Unwahrscheinlich. Nicht bei vierzig Tonnen Gewicht. Die Alternativtheorie war auch nicht viel besser. Dass nämlich eine La-Venta-Figur in Mexiko gemeißelt und nach Afrika gebracht worden war. Und in beiden Fällen gab es nach wie vor das Problem mit der Datierung. Kolumbus war erst Hunderte von Jahren nach Anfertigung der Köpfe in See gestochen.
Autsch, dachte Nina, ich denke ja schon wie ein
Diffusionist
.
Sie schaute sich verstohlen um, als würde jemand ihre Gedanken belauschen. Für einen herkömmlichen Archäologen bedeutete Unvoreingenommenheit gegenüber dem Diffusionismus die direkte Fahrkarte in die ewige Verdammnis.
Diffusionisten glaubten, dass Kulturen sich nicht isoliert voneinander entwickelten, sondern dass sie
diffundierten,
das heißt sich vermischten und durchdrangen. Die Ähnlichkeiten zwischen Alter und Neue r Welt hatten Nina schon immer fasziniert. Leider brachten die UFO- und Atlantis-Enthusiasten, nach deren Ansicht die Pyramiden und die Nazca-Linien von Außerirdischen oder den Bewohnern versunkener Kontinente stammten, nur wenig Licht ins Dunkel. Und ein weiblicher Diffusionist hatte in diesem Geschäft in
doppelter
Hinsicht verloren. Es war ohnehin schon schwierig genug für Nina, als Frau in einer Männerwelt zu bestehen.
Der Denkansatz der Diffusionisten sah sich seit jeher einer gewaltigen Hürde gegenüber: Es gab keinerlei wissenschaftlich verifizierte Beweise dafür, dass vor Kolumbus ein Kontakt zwischen den beiden Hemisphären bestanden hatte. Die Leute konnten sich alles Mögliche aus den Fingern saugen, um die Zusammenhänge zwischen den ägyptischen Pyramiden, kambodschanischen Tempeln und mexikanischen Bauwerken zu erklären. Aber niemand hatte ein Artefakt gefunden, das diese Verbindung bestätigte. Bis
jetzt
. Und dann auch noch in einem phönizische n Hafen.
Heiliger Strohsack
.
Das hier würde ein Mordsaufsehen verursachen. Es könnte sich durchaus um die größte Entdeckung seit dem Grab des Tutenchamun handeln. Das archäologische Establishment würde völlig auf den Kopf gestellt werden. Dieses Ding in der Lagune bewies, dass es zwischen der Alten und der Neuen Welt irgendeine Art von Austausch gegeben hatte, und zwar
zweitausend Jahre
bevor Christoph Kolumbus dem spanischen Königshof drei Schiffe abschwatzte. Genug! Nina trat in Gedanken auf die Bremse, bevor sie noch die Kontrolle
Weitere Kostenlose Bücher