Das Todeswrack
Glänzendes in der Sonne aufgeblitzt.
Sie ging ein paar Schritte flussabwärts. Chi folgte ihr. Am Ufer lag ein verbeulter Aluminiumprahm, an dessen Heck ein alter Mercury-Außenborder hing. »Der muss von irgendwoher angetrieben worden sein.«
Chi interessierte sich weniger für das Boot als für die Fußabdrücke im Schlamm.
Hektisch musterte er das umliegende Dickicht. »Wir müssen gehen«, sagte er ruhig.
Mit festem Griff nahm er Gamays Arm und führte sie im Zickzackkurs den Hügel hinauf. Sein Kopf bewegte sich hin und her wie eine Radarantenne. Kurz vor dem Gipfel der Anhöhe blieb er stehen und schnüffelte wie ein Jagdhund.
»Das gefällt mir nicht«, sagte er leise und sog die Luft ein.
»Was ist los?«, flüsterte sie.
»Ich rieche Rauch und Schweiß.
Chicleros.
Wir müssen verschwinden.«
Sie gingen am Waldrand entlang und bogen dann auf einen Pfad ein, der quer über die Ebene verlief. Sie befanden sich gerade zwischen zwei rechteckigen Hügeln, als hinter einer Ecke ein Mann hervortrat und sich ihnen in den Weg stellte.
Chis Hand zuckte zum Gürtel, riss blitzschnell die Machete heraus und hielt die lange scharfe Klinge wie ein Samurai drohend über den Kopf. Sein Unterkiefer schob sich herausfordernd vor und zeugte von einer Entschlossenheit, die schon die spanische n Konquistadoren so sehr erstaunt und zu einem blutigen Unterwerfungskrieg gegen seine Vorfahren geführt hatte.
Gamay wunderte sich, wie schnell dieser freundliche kleine Mann sich in einen Maya-Krieger verwandelte. Der Fremde war nicht beeindruckt, sondern grinste und zeigte sein lückenhaftes gelbes Gebiss. Er hatte schmierige, lange schwarze Haare und einen Stoppelbart, der die syphilitischen Narben in seinem von Gelbsucht gezeichneten Gesicht nicht ganz zu verdecken vermochte. Seine Kleidung war die eines mexikanischen
campesino
: weite Hose, Baumwollhemd und Sandalen. Im Gegensatz zu der makellosen äußeren Erscheinung, auf die selbst der ärmste Einheimische noch Wert legte, war er jedoch schmutzig und ungewaschen. Er schien ein
mestizo
zu sein, ein Mischling mit spanischem und indianischem Blut in den Adern, und er schmeichelte keiner der beiden Gruppen. Er war unbewaffnet, schien sich wegen der erhobenen Machete aber keine Sorgen zu machen. Eine Sekunde später erfuhr Gamay den Grund für seine Gelassenheit.
»Buenos dias, senor, senora«,
sagte eine neue Stimme.
In ihrem Rücken waren zwei weitere Männer hinter dem Hügel aufgetaucht. Der erste hatte einen tonnenförmigen Körper und kurze Extremitäten. Sein dichtes schwarzes Haar war zu einer hohen Elvistolle frisiert, und sein Gesicht schien einem der Maya-Reliefs entsprungen zu sein. Er hatte schräge Augen, eine breite stumpfe Nase und grausame Lippen, die wie zwei Stücke Leber aussahen. Die Mündung seines alten Jagdgewehrs wies in ihre Richtung.
Der dritte Fremde stand hinter Elvis. Er war größer als die beiden anderen zusammen. Außerdem war er sauber, und sein Hemd und die weiße Hose wirkten wie frisch gewaschen. Seine langendunklen Koteletten waren ebenso sauber gestutzt wie sein dichter Schnurrbart. Sein Bauch war rund, aber die dicken Arme und Beine waren muskulös. Er hielt ein M16-Sturmgewehr in der Armbeuge, und an dem breiten Gürtel unter seinem drallen Leib hing ein Pistolenholster.
Mit freundlichem Lächeln sprach er Chi auf Spanisch an. Der Blick des Professors richtete sich auf das M16, dann ließ er langsam die Machete sinken und zu Boden fallen. Danach nahm er die Schrotflinte von der Schulter und legte sie neben die Machete. Ohne jede Warnung trat Gelbzahn ein paar Schritte vor und schlug Chi ins Gesicht.
Der Professor wog etwa fünfundvierzig Kilo. Der Schlag riss ihn förmlich von den Füßen und warf ihn ins Gras.
Unwillkürlich stellte Gamay sich zwischen den wehrlosen Professor und seinen Angreifer, um den Tritt abzuwenden, den sie befürchtete. Gelbzahn hielt inne und starrte sie überrascht an.
Statt sich zu ducken, durchbohrte sie ihn mit einem warnenden Blick. Dann drehte sie sich um und bückte sich, um dem Professor auf die Beine zu helfen. Sie streckte ihm die Hand entgegen, als ihr Kopf plötzlich nach hinten gezogen wurde. Es fühlte sich an, als hätte ihr Haar sich in einer Walze verfangen, und einen Augenblick lang glaubte sie, ihr würde die Kopfhaut abgerissen.
Sie bemühte sich, im Gleichgewicht zu bleiben, da zerrte jemand erneut an ihrem Schopf. Gelbzahn hatte seine Finger in ihrem langen Haar vergraben. Er zog
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