Das Tor des Suedens
hören. Das Eis stöhnte und krachte.
Selten zuvor hatte sich Nottr unbehaglicher gefühlt. Trotz der Kälte schwitzte er, und es war nicht nur die Anstrengung, die ihm den Schweiß auf die Haut trieb. Nottr rutschte aus, ging in die Knie, klammerte sich stärker am Seil fest und stieß einen heiseren Schrei aus. Der Pelzfäustling war verrutscht, und er konnte das gefrorene Lederseil nicht richtig festhalten. Nottr fiel auf den Bauch, und seine Hand ließ das Seil los. Sofort rutschte er seitlich weg, und seine Talfahrt wurde immer rascher. Verzweifelt versuchte er sich irgendwo festzukrallen, doch es gelang ihm nicht. Er schoss über den Rand einer Spalte, wollte sich festhalten, doch wieder gelang es ihm nicht.
Mit den Füßen prallte er auf der gegenüberliegenden Wand auf, wurde nach rechts herumgerissen, knallte gegen einen vereisten Felsvorsprung und fiel dann wie ein Stein in die Tiefe. Angstvoll schrie er auf und schlug wild mit den Beinen und Armen um sich. Doch sein Fall wurde durch eine Eisbrücke gestoppt. Benommen blieb er liegen. Kurze Zeit war er wie gelähmt und zu keinem klaren Gedanken fähig.
Er schüttelte langsam den Kopf und setzte sich vorsichtig auf. Es war so finster, dass er überhaupt nichts sehen konnte. Doch nach und nach gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, und als er den Kopf hob, glaubte er weit über sich einen hellen Schimmer zu erkennen; vermutlich war es die Spaltenöffnung. Nottr wagte sich kaum zu bewegen, da er befürchtete, dass der Spalt noch tiefer ging.
Und dann endlich erinnerte er sich an sein Schwert und an Nadomirs Zauberwörter. Vorsichtig lehnte er sich an die Wand, zog das Schwert aus der Scheide und hob seinen Arm. »Karne!« rief er.
Mit einem Zischen flammte die gekrümmte Klinge auf. Einen Augenblick war Nottr geblendet, da sich das glühende Schwert in den blaugrünen Schachtwänden spiegelte. Er schnappte nach Luft, als er seine Lage erkannte. Er hockte auf einer schmalen Eisbrücke, die den Spalt teilte. Doch zu beiden Seiten ging es hinab in eine unergründliche Finsternis. Der Spalt musste äußerst tief sein.
Durch die Hitze des glühenden Schwertes begann Wasser die Wände herunter zu rinnen, und die Eisbrücke unter ihm begann unheilvoll zu knirschen und senkte sich eine Armlänge.
»Usikate!« brüllte Nottr verzweifelt. Es blieb ihm keine andere Wahl, er durfte sich nicht bewegen. Selbst konnte er sich nicht retten, er musste auf die Hilfe seiner Freunde warten. Doch es war fraglich, ob sie die Spalte finden würden. Die Zeit schien stehenzubleiben. Hoffnungsvoll blickte Nottr zur Öffnung, doch niemand ließ sich sehen.
Es war unheimlich still, nur gelegentlich war das Knirschen der Eisbrücke zu hören, die sich unter der Last seines Körpers immer mehr durchbog.
Verzweifelt suchte Nottr nach einem Ausweg. Doch sosehr er auch grübelte, ihm fiel keine Rettungsmöglichkeit ein. »Olinga!« schrie er mit der vollen Kraft seiner Lungen. »Olinga!«
Immer wieder rief er ihren Namen in der Hoffnung, dass er doch noch gehört werden würde.
Dann glaubte er einen Schatten vor der Öffnung zu erkennen. »Olinga!« schrie er wieder.
»Bist du es, Nottr?« vernahm er Sadagars Stimme, die seltsam dumpf klang.
»Ja, ich bin es«, rief Nottr erleichtert. »Ich sitze auf einer Eisbrücke, die jeden Augenblick zusammenbrechen kann.«
»Wie weit bist du von der Öffnung entfernt, Nottr?«
»Das kann ich schwer beurteilen, aber ich schätze, dass es etwa dreißig Fuß sind.«
»Halte aus, Nottr! Wir werfen dir das Seil hinunter.«
Der Barbar kniete vorsichtig nieder, dann stand er unendlich langsam auf und verlagerte sein Gewicht. Die Eisbrücke kreischte protestierend. Sein Herz schlug wie verrückt, als er sich an die Wand presste und das linke Bein einen Schritt zurücksetzte. Doch die Eisbrücke hielt noch.
Ein brennendes Holzstück fiel in den Schacht, und die eisigen Wände glühten.
Nottr streckte die rechte Hand aus und versuchte das Holzstück zu fangen, doch es glitt zwischen seinen steifen Fingern hindurch und fiel in die Tiefe. Noch lange konnte er den lodernden Punkt sehen, bis er dann endlich erlosch.
»Ich habe dich gesehen, Nottr!« brüllte Sadagar. »Ich werfe dir nun das Seil hinunter. Schlinge es dir um den Leib. Ich hoffe, dass es lang genug sein wird.«
Er versuchte das Seil zu erkennen, konnte es aber nicht sehen.
»Das Seilende sollte bei dir sein, Nottr. Streck die Hand aus!«
Das tat auch Nottr, doch sosehr er
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