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Das Tor ins Nichts

Titel: Das Tor ins Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gut daran tat, mich trotz allem in acht zu nehmen.
    Direkt vor meinen Füßen schimmerte etwas im Gras. Ich blieb stehen, bückte mich und streckte die Hand nach dem Gegenstand aus, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Eine eisige Faust schien sich um mein Herz zu legen und ganz langsam zuzudrücken.
    Es war ein Auge.
    Wie eine kleine glitzernde Murmel lag es vor mir im Gras, lidlos und von einem stummen, im Tode erstarrten Vorwurf erfüllt. Ein menschliches Auge.
    Oder zumindest die perfekteste Nachbildung eines menschlichen Auges, die mir jemals untergekommen war. Das einzige, was die Illusion störte, waren die dünnen, glitzernden Drähte, die sich wie abgerissene metallene Nervenstränge aus seiner Rückseite kräuselten.
    Alarmiert ließ ich mich auf die Knie herabsinken, nahm das gläserne Auge behutsam zwischen die Fingerspitzen und hob es hoch. Es war viel schwerer, als ich erwartet hatte, und als ich versehentlich zwei der dünnen Drähtchen berührte, gab es einen winzigen blauen Funken. Ein leises Schnarren ertönte aus dem Inneren des Gebildes, und die Pupille bewegte sich von links nach rechts und wieder zurück.
    Ich war nicht einmal sonderlich überrascht. Nach allem, was geschehen war, hatte es eigentlich nur diese eine Erklärung geben können.
    Was nicht etwa hieß, daß sie mich beruhigt hätte. Ganz im Gegenteil.

    Die Sonne war längst untergegangen, als ich Amsterdam erreichte, und aus den zahllosen Grachten und Flüßchen, die die Stadt durchzogen, stieg Nebel empor. Die Häuser rechts und links der heruntergekommenen Straße schienen sich hinter den wogenden Schleiern zu ducken, und obwohl es noch gar nicht so übermäßig spät und Amsterdam immerhin eine Weltstadt war, waren die Straßen wie ausgestorben. Nicht das geringste Zeichen von Leben regte sich. Die einzige Bewegung, die ich ausmachen konnte, war das gemächliche Dahintreiben des Nebels, der in großen, sonderbar massig wirkenden Fetzen in der Luft hing. Die Scheinwerfer des Taxis vermochten sie nicht zu durchdringen. In den letzten Minuten war der Wagen immer langsamer geworden, jetzt kroch er fast im Schrittempo dahin. Und wenn dieser verdammte Nebel noch dichter wurde, dann war der Moment abzusehen, an dem wir gar nicht mehr weiterkommen würden. Der Gedanke, etwa aussteigen und zu Fuß durch die Straßen und vor allem durch diese Straßen gehen zu müssen, machte mir irgendwie Angst.
    Ich bewegte mich unbehaglich auf dem Beifahrersitz und wandte mich schließlich an den Taxifahrer. »Sie sind ganz sicher, daß wir richtig sind?«
    Der Mann nickte. Während der gut fünfundvierzig Minuten, die die Fahrt bisher gedauert hatte, hatte er kaum mehr als ein Dutzend Worte gesprochen. Aber das mochte daran liegen, daß er ungefähr so viel Englisch sprach wie ich Holländisch
    nämlich keines. Diesmal aber schien er zumindest den Sinn meiner Worte verstanden zu haben, denn er tippte mit dem kleinen Finger auf den Spickzettel, den er am Armaturenbrett festgeklemmt hatte. Ich hatte ihm nachdem ich vergeblich versucht hatte, ihm mein Anliegen klarzumachen die drei Worte AMSTERDAM, HOTEL und CAROLA daraufgeschrieben und einen HundertGuldenSchein dazugelegt, und eines von beiden mußte er wohl verstanden haben. »Hotel Carola, Mijnheer?« wiederholte er jetzt fragend.
    Ich nickte widerstrebend. Carola , das war der Name des Hotels, in dem DeVries das Zimmer für mich gebucht hatte, und ich sah keinen Grund, nicht dort einzuziehen. Das heißt, bisher hatte ich keinen Grund gesehen; schließlich hatte ich ja nicht ahnen können, in welcher Gegend dieses Hotel lag.
    Trotzdem erschien es mir unsinnig, ein anderes Hotel zu suchen, auch wenn mir das im Grunde keinerlei Schwierigkeiten bereitet hätte. Mein Gepäck war zwar im Zug zurückgeblieben, aber ich hatte Glück im Unglück gehabt: Ich hatte all meine persönlichen Papiere und mein Bargeld in der Brieftasche getragen, so daß ich durchaus in der Lage war, mir ein anständiges Hotel zu leisten. Aber zum einen mochte es sein, daß DeVries eine Nachricht für mich im Carola hinterlassen hatte, vielleicht sogar selbst dort wartete, zum anderen hatte ich Jeremy diese Adresse gegeben und er wiederum seinem Freund Dreistmeer von der Amsterdamer Polizei. Und außerdem sah ich nicht unbedingt aus wie ein Mann, der sich ein teures Hotel leisten konnte. Meine Kleider bestanden eigentlich nur noch aus Fetzen, daher war ich mir gar nicht sicher, ob man mich im Marriott oder Hilton aufnehmen würde,

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