Das Tor ins Nichts
nicht auf den Gedanken, einfach auf das Zugdach hinaufzuklettern und mich dort in aller Ruhe zu erwarten, sondern krabbelte weiter wie eine vierbeinige Spinne an der Außenseite des Waggons entlang.
Der Anblick gab mir zusätzliche Kraft. Ich stemmte mich mit den Füßen auf dem zerbrochenen Fensterrahmen ab, ließ mit der linken Hand los, tastete nach oben und fühlte die Krümmung des Daches, dann etwas Kleines, Spitzes, das stabil genug schien, mein Körpergewicht zu tragen, und zog mich mit einem verzweifelten Ruck nach oben.
Zwei, drei Sekunden lang blieb ich reglos liegen, rang nach Atem und wartete darauf, daß meine Hände und Knie aufhörten zu zittern. Dann kroch ich bäuchlings bis zur Mitte des Daches und sah zurück.
Über der Krümmung des Zugdaches erschien eine Krallenhand, grub sich in das Blech und klammerte sich an einem Träger darunter fest. Sekunden später tauchte ein dunkler Haarschopf über dem Dach auf, und kalte, polierte Augen starrten mich an.
Ich schluckte meinen Fluch hinunter, sprang auf die Füße und wirbelte herum. Der Waggon, auf dessen Dach ich mich befand, war der letzte gleich hinter der Lokomotive, so daß mir keine andere Wahl blieb, als an Eisenzahn vorbei und in Richtung Zugende zu laufen wobei mich seine Hand um ein Haar erwischt hätte und ich mich nur durch einen riskanten Hüpfer in Sicherheit bringen konnte.
Eine höchst zweifelhafte Sicherheit allerdings, wie sich bald herausstellte. Ich hatte kaum ein Dutzend Schritte zurückgelegt, da hatte ich auch schon das Ende des Waggons erreicht und das Dach des dahinterliegenden war ein gutes Yard weit entfernt und sprang und hoppelte wie ein wildgewordener Maulesel auf und ab!
Eine Strecke von einem Yard stellt vielleicht keinen besonders gewagten Sprung dar, für einen durchtrainierten Mann wie mich unter normalen Umständen. Aber ein Fehltritt würde einen Sturz unter die Räder des Zuges bedeuten, bestenfalls auf den Schotter des mit gut achtzig Meilen vorbeirasenden Bahndammes und wahrscheinlich wäre das eine so tödlich wie das andere.
Hinter mir hörte ich ein Kratzen und Splittern, und als ich zurückblickte, sah ich, wie sich Eisenzahn umständlich erhob und mit ausgebreiteten Armen auf mich zugetapst kam. Seine Füße hinterließen tiefe Dellen im Dach.
Ich vergaß meine Furcht, spannte die Muskeln und sprang ab.
Es war leichter, als ich gefürchtet hatte. Der Wagen schien mir noch entgegenzufliegen. Ich kam ungeschickt auf, fiel auf die Knie, fing den Sturz mit beiden Händen auf und stieß mich wie ein HundertMeterLäufer am Start ab. Verzweifelt rannte ich los, während Eisenzahn mir auf die gleiche Weise folgte; zwar weniger elegant, dafür aber erheblich lauter.
Ich rannte, so schnell es der schwankende Untergrund zuließ, sprang von Wagendach zu Wagendach und vergrößerte die Entfernung zwischen mir und meinem unheimlichen Verfolger allmählich.
Schließlich hatte ich das Ende des Zuges beinahe erreicht und blieb stehen. Vor mir lag der letzte Waggon und dann nichts mehr. Es sah aus, als wäre meine Flucht hier zu Ende, noch ehe sie richtig begonnen hatte.
Verzweifelt drehte ich mich herum und blickte meinem Gegner mit einer Mischung aus Entsetzen und trotzigem Zorn entgegen. Ich wußte weder, wer der Bursche war, noch, was er von mir wollte aber ich würde mein Leben so teuer wie möglich verkaufen.
Dann sah ich den Schatten am vorderen Ende des Zuges, noch weit vor der Lokomotive. Ein verzweifelter Plan begann in meinem Kopf Gestalt anzunehmen. Hätte ich Zeit gehabt, ihn in allen Einzelheiten zu durchdenken, dann hätte ich es vermutlich zehnmal lieber auf einen Kampf mit dem Unheimlichen ankommen lassen aber gottlob blieb mir diese Zeit nicht.
Ich wandte mich noch einmal um und sprang auf den letzten Wagen. Der Schatten erreichte die Lokomotive und jagte über sie hinweg. Noch drei, vier Sekunden, schätzte ich. Allerhöchstens.
Eisenzahn blieb stehen, kaum einen Schritt vom Ende des Wagendaches entfernt. Seine kalten Glasaugen musterten mich.
Dann spannte er sich und sprang.
Was dann geschah, ging so unglaublich schnell, daß ich hinterher nicht einmal sicher war, ob ich es wirklich gesehen oder mir nur eingebildet hatte.
Eisenzahn landete wie ein lebender Amboß auf dem Dach und beulte es ein, fand im letzten Augenblick sein Gleichgewicht wieder und richtete sich auf. Sein Stahlgebiß blitzte.
Da jagte hinter ihm der Schatten heran und ich ließ mich mit angehaltenem Atem zur Seite
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