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Das Tor ins Nichts

Titel: Das Tor ins Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht der geringste Laut, als er in einem grotesken Salto nach hinten kippte und aus dem fahrenden Zug fiel.
    Mit einem einzigen Satz war ich am Fenster. Der Zug schaukelte und hüpfte unter meinen Füßen wie ein Boot bei starkem Seegang, so daß ich um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte und hinter Eisenzahn hergefallen wäre. Der Fahrtwind trieb mir die Tränen in die Augen, als ich mich aus dem zerschmetterten Fenster lehnte.
    Im ersten Moment sah ich nichts als die verwischten Schemen der vorüberhuschenden Landschaft, dann drehte ich das Gesicht aus dem Wind, blickte zum Ende des Zuges zurück, sah, wie sich eine Gestalt unmittelbar neben den Geleisen in die Höhe stemmte und dann mit einem kraftvollen Satz auf den fahrenden Zug sprang!
    Hätte es nach allem noch eines endgültigen Beweises bedurft, daß mein unheimlicher Gegner kein normaler Mensch war, dann wäre es dieser Anblick gewesen.
    Eisenzahn versuchte nicht, sich auf eine der Plattformen zu schwingen oder eine Tür zu öffnen, sondern ging die Sache entschieden direkter an. Wie ein lebendes Geschoß krachte er gegen den Zug. Seine linke Hand grub sich durch das Blech und klammerte sich irgendwo fest, während er mit den Füßen auf den Schotter neben den Geleisen geriet und ein gutes Stück mitgeschleift wurde, ehe er auch mit der anderen Hand sicheren Halt fand und sich in die Höhe zog. Wie eine Spinne kletterte er an der Außenwand des Zuges entlang, wobei sich seine Finger und Zehen in das lackierte Stahlblech gruben und eine Spur kleiner runder Löcher darin hinterließen.
    Der Anblick war so unglaublich, daß ich für einen Moment sogar die Gefahr vergaß, in der ich mich befand.
    Der Unheimliche war zu weit entfernt, als daß ich Einzelheiten erkennen konnte aber zum Teufel, er war bei einer Geschwindigkeit von mehr als achtzig Meilen aus einem fahrenden Zug gestürzt und hätte sich eigentlich alle Knochen brechen müssen! Und trotzdem kroch er langsam, aber stur wie eine Maschine über die Außenseite des Zuges weiter auf mich zu!
    Erst als Eisenzahn schon fast die Hälfte der Strecke überwunden hatte und den Kopf hob, um sich zu orientieren, wurde ich mir der Tatsache wieder bewußt, daß er dieses Kunststück nicht aus reinem Sportsgeist ausführte, sondern zurückkam, um zu vollenden, was er begonnen hatte, ehe ich ihn aus dem Zug warf nämlich mich umzubringen.
    Ich prallte vom Fenster zurück und sah mich hastig nach einer Waffe oder einem Fluchtweg um. Das Abteil bot einen Anblick, als wäre eine Bombe darin explodiert, aber es gab nichts, womit ich mich hätte verteidigen können. Wie unempfindlich der Fremde gegen Hiebe mit Eisenstangen und ähnlichem war, hatte er sehr drastisch demonstriert. Und auch den Gedanken, aus dem Abteil zu fliehen, konnte ich getrost vergessen. Der Gang draußen war mit betrunkenen Fußballanhängern vollgestopft, die so grölten und randalierten, daß sie nicht einmal den Lärm des Kampfes gehört hatten. Wenn ich mich aus meinem Abteil hinausgewagt hätte, wäre ich nach ein paar Schritten hoffnungslos in der Menschenmenge auf dem Gang eingekeilt gewesen.
    Einen Moment lang blieb mein Blick auf dem roten Bügel der Notbremse haften, aber ich verwarf den Gedanken, sie kurzerhand zu ziehen, schnell wieder. Nein es gab nur einen Weg, auch wenn mir allein der Gedanke daran den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Ich wußte, daß es sinnlos war, vor dem unheimlichen Killer zu fliehen. Ich mußte mich ihm stellen. Auch wenn meine Chancen, ihn zu besiegen, erbärmlich waren. Eisenzahn war bis auf eine Wagenlänge herangekommen, als ich abermals an das zerschmetterte Fenster trat und hinausspähte. Seine Augen waren starr geöffnet, trotz des rasenden Fahrtwindes, und jetzt, da er näher war, sah ich, daß sein Gesicht ein bißchen eingedrückt zu sein schien.
    Ich mußte schnell handeln. Vorsichtig beugte ich mich hinaus, tastete mit beiden Händen nach oben, bis meine Finger irgendwo an dem verbeulten Blech Halt fanden, löste die Füße vom Boden und schwang mich mit einer kraftvollen Bewegung aus dem Zug.
    Eine endlose Sekunde lang schwebte ich über dem Nichts.
    Der Fahrtwind schlug mir wie eine unsichtbare Faust ins Gesicht und nahm mir den Atem, und der Zug sprang und zitterte wie ein bockendes Pferd, das mit aller Kraft versuchte, seinen Reiter abzuschütteln.

    Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Eisenzahn seine Anstrengungen verdoppelte und schnell näher kam. Seltsamerweise kam er immer noch

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