Das Tor zur Hölle - Hellraiser
Julia und ihr Liebhaber, dann wäre es mit Sicherheit hier gewesen. Aber nein. Die Tür stand einen Spalt offen; sie spähte hinein. Die Tagesdecke war ohne die kleinste Falte.
Dann plötzlich ein verzerrter Schrei. So nah, so laut, daß ihr das Herz stehenblieb.
Geduckt sprang sie zurück und sah im selben Augenblick eine Gestalt aus einem der Zimmer am Ende des Flurs heraustaumeln. Es dauerte einen Moment, bis sie den Mann wiedererkannte, mit dem Julia gekommen war – und auch da nur an seiner Kleidung. Der Rest hatte sich verändert; grauenhaft verändert. Eine auszehrende Krankheit hatte ihn, seit sie ihn an der Türschwelle gesehen hatte, in Minutenschnelle dahingerafft, so daß sein Fleisch bis auf die Knochen zusammengefallen schien.
Er sah Kirsty und stürzte auf sie zu, als wolle er sich in ihren Schutz flüchten. Kaum hatte er jedoch einen Schritt von der Tür weg gescharrt, als sich hinter ihm eine andere Gestalt ins Sichtfeld schob. Sie schien ebenfalls krank zu sein. Der Körper war von Kopf bis Fuß in Verbände gehüllt – in Mullbinden, die von Blut und Eiter verschmiert waren. An ihrer Schnelligkeit und der Brutalität des anschließenden Angriffs war jedoch nichts, was auf Krankheit hindeutete. Ganz im Gegenteil. Die Gestalt griff nach dem fliehenden Mann und packte ihn am Nacken. Kirsty stieß einen Schrei aus, während der Jäger seine Beute an sich zog und umklammerte.
Das Opfer wimmerte so laut, wie es sein ausgerenkter Kiefer zuließ. Dann verstärkte der Gegner den Druck seiner Umklammerung, und der Körper des Opfers zitterte und zuckte; die Beine knickten weg. Blut schoß aus Augen, Nase und Mund. Kleine Tröpfchen davon stoben wie ein heißer Hagelschauer durch die Luft und klatschten gegen Kirstys Stirn. Die Berührung schreckte sie aus ihrer Tatenlosigkeit auf. Sie rannte.
Das Monstrum folgte ihr nicht. Sie erreichte die Treppe, ohne aufgehalten zu werden, doch als ihr Fuß die erste Stufe nahm, sprach es sie an.
Seine Stimme war … vertraut.
»Da bist du ja«, sagte es.
Es sprach mit sanfter Stimme – und als kenne es sie. Sie blieb stehen.
»Kirsty«, sagte es. »Warte doch.«
Ihr Kopf befahl ihr, davonzurennen. Ihr Herz jedoch weigerte sich, diesem klugen Rat zu folgen. Es wollte sich daran erinnern, wessen Stimme es war, die da aus den Mullbinden drang. Sie konnte immer noch fliehen, sagte sie sich; ihr Vorsprung betrug acht Meter. Langsam drehte sie sich zu der Gestalt um, in deren Armen sich der Körper des Mannes wie ein Fötus zusammengerollt hatte, die Beine an die Brust gezogen. Die Bestie ließ ihn fallen. »Du hast ihn umgebracht …«, sagte sie.
Das Ding nickte. Es hatte offensichtlich keine Entschuldigung nötig, weder dem Opfer noch dem Zeugen gegenüber.
»Wir werden später um ihn trauern«, erklärte es ihr und machte einen Schritt auf sie zu.
»Wo ist Julia?« fragte Kirsty heftig.
»Mach dir darüber keine Sorgen. Es ist alles in Ordnung …«, sagte die Stimme. Kirsty stand kurz davor, sich daran zu erinnern, zu wem sie gehörte.
Während sie darüber nachgrübelte, kam es einen weiteren Schritt näher; eine Hand hatte es gegen die Wand gestützt, als hätte es Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht.
»Ich habe dich gesehen …«, führ es fort. »Und ich denke, du hast mich auch gesehen. Am Fenster …« Ihre Verwirrung wurde größer. War dieses Ding schon so lange im Haus? Wenn es so war, dann mußte Rory es doch sicher …
Und dann erkannte sie die Stimme.
Es war Rorys Stimme – oder, genauer gesagt, eine sehr gute Nachahmung davon. Kehliger, arroganter, doch die Ähnlichkeit war unheimlich genug, so daß sie wie angewurzelt stehenblieb, während die Bestie herangeschlurft kam.
Endlich schüttelte sie ihre Faszination ab und drehte sich um, um davonzulaufen – doch es war schon zu spät. Sie hörte seinen Schritt dicht hinter sich, dann spürte sie seine Finger in ihrem Nacken. Sie wollte schreien, aber der Laut hatte kaum ihre Lippen erreicht, als das Ding seine zerfurchte Handfläche über ihr Gesicht preßte und so sowohl den Schrei als auch den Atemzug, von dem er getragen wurde, abschnitt.
Es hob sie hoch und trug sie zurück. Umsonst kämpfte sie gegen seine Umklammerung an; die kleinen Wunden, die ihre Finger an seinem Körper hinterließen – als sie an den Verbänden zerrten und sich in das rohe Fleisch darunter gruben –, ließen es scheinbar vollkommen ungerührt. Für einen grauenhaften Augenblick verfingen sich
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