Das Totenhaus
voller Degenerierter. Verblichene Tiger.«
»Entschuldigen Sie?«
»Haben Sie denn niemals Dickens gelesen, junge Lady? Als er New York besuchte, bat er darum, sich Blackwelll's ansehen zu dürfen.«
Ich dachte, während meiner Studienzeit das meiste von ihm gelesen zu haben, aber der Ausdruck kam mir nicht im Geringsten bekannt vor. Vielleicht erklärte das das Foto von Dickens an Lola Dakotas Pinnwand. Noch ein Prominenter, der eine Verbindung zu der Insel hatte, von der sie so fasziniert gewesen war. Was wir aber immer noch nicht wussten, war, warum Charlotte Voights Bild dort gehangen hatte.
Lockhart erzählte weiter über Dickens' Besuch im Gefängnis, wo der Engländer die in Schwarz und Gelbbraun gekleideten Häftlinge mit verblichenen Tigern verglichen hatte.
»Erzählen Sie mir von der Razzia«, sagte Mike. Skip kam mit Kamillentee für seinen Großvater und Kaffee für uns zurück. Er stellte alles auf den Tisch, lächelte über Mikes Begeisterung für die Geschichten, die er schon so viele Male gehört hatte, und ging wieder in die Küche. »Waren Sie tatsächlich dabei?«
»Dabei, Sir? MacCormick und ich haben die ganze Sache eigenhändig geleitet. Ich habe die Detectives und die Gefängnisdirektoren, die uns begleiteten, sorgfältig ausgewählt, und den Sturm auf das Zuchthaus haben wir höchstpersönlich angeführt. Der Erste, der uns in die Hände fiel, war der stellvertretende Gefängnisdirektor, der die ganze Zeit Schmiergelder genommen hatte. Wir nahmen ihn sofort fest.«
»Da wäre ich gern dabei gewesen«, sagte Mike, der noch mehr hören wollte.
»MacCormick hatte alles bis ins kleinste Detail geplant. Er blockierte die Telefonzentrale des Gefängnisses, sodass während der Razzia niemand nach draußen telefonieren konnte. Den ersten Trupp Polizisten schickte er in die Krankenabteilung, um Reggio und Cleary rauszuholen.« Lockhart kicherte, während er an seinem Tee nippte. »Er hatte wohl Angst, dass wir aufeinander losgehen würden. Also ließ er sie aus ihren luxuriösen vier Wänden rausschaffen und steckte sie in Einzelhaft.«
»Und Sie? Sind Sie selbst rein ins Gefängnis?«
»Mein Junge, ich kann es heute noch riechen. Die meisten der Gefangenen waren rauschgiftsüchtig geworden.«
»Nachdem man sie eingesperrt hatte?«
»Reggio und Cleary leiteten einen Drogenhandel im Gefängnis. Auf die Art und Weise haben sie es geschafft, dass ihre Lakaien sie fürstlich behandelten und voneinander abschirmten. Das Erste, was ich sah, waren reihenweise Männer, die zitternd auf den Bänken lagen und uns anflehten, ihnen ihre Drogen zu geben. Die Arme der meisten von ihnen waren von oben bis unten mit Einstichstellen übersät. Es sprach sich schnell herum, dass MacCormick selbst durch den dreistöckigen Gefängnisblock marschierte.«
»Das wäre heute undenkbar. Sie würden nur zum Fototermin auftauchen.«
»Plötzlich hörten wir lautes Klirren und dass Sachen herumgeworfen wurden. Ich rannte hin, um zu sehen, was los war. Da warfen doch tatsächlich die Gefangenen ihre Waffen und Drogenutensilien durch die Gitter! Niemand wollte mit Schmuggelware in den Zellen erwischt werden. Ich bückte mich und hob einige geschwärzte Löffel auf, in denen sie ihren Stoff erhitzten. Nadeln, mit denen sie sich einen Schuss setzten. Ganze Sets von Injektionsspritzen. Tücher, die mit Heroinlösung getränkt waren.«
»Haben Sie gefunden, womit Sie gerechnet haben?«
»Schlimmer, viel schlimmer. Jede Art von Drogen und Waffen. Wir erbeuteten Hackmesser, Äxte, Stilette, Fleischermesser. Ich habe Fotos, junges Fräulein, und es stand auf den Titelseiten von jeder Zeitung im Land. Skip wird Ihnen meine Alben zeigen. Diese Gorillas hatten eine richtige Rangordnung. Die beiden Oberbosse hatten ihre Handlanger. Das waren gut zwei Dutzend Kerle, die den Pöbel unter Kontrolle hielten, unter den schrecklichsten Bedingungen hausten und Reggio und Cleary allseits zu Diensten waren, alles nur, um Drogen zu bekommen. Währenddessen lebten die angeheuerten Schläger der Bosse wie die Maden im Speck. Sie wurden jeden Tag mit dem Lastwagen zur Arbeit ins Haus des Direktors gebracht und aßen selbst nur vom Feinsten.«
»Haben Sie tatsächlich gesehen, wo Reggio wohnte?«
»Sie würden es nicht glauben. Herrgott, ich selbst würd's nicht glauben, wenn ich nicht leibhaftig dort gewesen wäre. Nachdem er abgeführt worden war, gingen MacCormick und ich zu seiner luxuriösen Bude hinauf, nur um herauszufinden, ob
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