Das Totenhaus
weiterredete. »Sie arbeitete -«
»Sie?«
»Meine Quelle. Meine Bekannte. Sie sollte einem der Partner bei einem Geschäftstermin mit einem Mandanten assistieren. Ein Dringlichkeitsmeeting an einem Sonntagabend, weil der Mandant Börsenanalyst ist, spezialisiert auf ausländische Wertpapiere. Er sollte morgen früh nach Europa fliegen. Er ist in der Finanzwelt sehr bekannt.«
»Wie heißt er?«
Jake sah mich an. »Das kann ich dir nicht sagen.«
Er schwieg. »Das Meeting dauerte eine halbe Stunde, als sich der Teilhaber entschuldigt und auf die Toilette geht. Der Mandant folgt ihm und erzählt ihm, während sie nebeneinander in der Herrentoilette stehen, dass er am Samstag seine Frau umgebracht hat und -«
Mike Chapman hätte einen passenden Kommentar über das Timing des Typen parat gehabt, aber mir stand im Augenblick nicht der Sinn nach Späßen. »In Manhattan?«
»Sie wohnen hier, aber das ist irgendwo zwischen New York City und ihrem Strandhaus auf Long Island passiert. Nassau oder Suffolk County, Madame Staatsanwältin. Nicht dein Zuständigkeitsbereich.«
Er konnte doch wohl nicht im Ernst denken, dass ich nicht von einem Mord schockiert sein würde, nur weil er außerhalb meines Zuständigkeitsbereichs passiert war. »Und die Kinder? Was ist das mit den Kindern?«
Jake zögerte kurz, bevor er antwortete. »Der Kerl hat tatsächlich die Leiche seiner Frau in den Kofferraum gelegt. Dann packte er seine zwei Kinder ins Auto und fuhr nach Norden, um die Leiche loszuwerden.«
»Wo?«
»Wo was?«
»Wo ist die Leiche der Frau jetzt? Und wo, zum Teufel, sind die Kinder?«
»Es geht ihnen gut. Sie hat mir versichert, dass es ihnen gut geht.«
»Und du willst mir nicht sagen, wer das Opfer ist und ob sie im Wald liegt oder in einem See oder -?«
»Hör zu, Alex, meine Informantin ist in einer schwierigen Lage. Es handelt sich hier um ihren Mandanten, und die Informationen, die er ihnen gegeben hat, sind streng vertraulich. Sie versuchen, das Richtige zu tun und ihn dazu zu bringen, sich zu stellen, bevor er das Land verlässt, aber im Augenblick weigert er sich. Wenn es mehr gibt, was ich dir sagen kann -«
Das Telefon klingelte erneut, und Jake hob ab. »Hey, schon in Ordnung. Kein Problem. Mit so einer Story kannst du mich zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen. Lass uns doch morgen Mittag zusammen essen. Dann kannst du mir all die Einzelheiten erzählen.«
Der Anruferin schien die Idee zu gefallen.
»Michael's. Fifty-fifth Street zwischen Fifth und Sixth, um halb eins. Es gibt einen großartigen Tisch vorne in einer Nische. Da können wir ungestört reden. Ich werde morgen Vormittag anrufen und ihn reservieren.«
Sie sagte etwas.
»Nein, du störst nicht. Sicher, falls du noch etwas hörst, dann ruf sofort zurück.« Er legte auf und drehte sich wieder zu mir um. »Du kannst nicht alle Probleme dieser Welt lösen, Alex.«
»Ich würde gerne denken, dass ich bei dieser unglaublichen Geschichte, auch wenn ich keine Staatsanwältin wäre, meinen Hintern hochkriegen und etwas tun würde. Ich kann nicht verstehen, wie du dasitzen kannst und dir wahrscheinlich nur darüber Gedanken machst, ob du den anderen Sendern mit irgendwelchen reißerischen Details über den Mord an dieser Frau zuvorkommen kannst. Ich kann nicht verstehen, warum du nicht als Erstes zum Telefon greifst und die Polizei anrufst.«
Wieder klingelte das Telefon, und dieses Mal fragte mich Jake gar nicht erst um Erlaubnis, sondern hielt seinen Finger hoch, damit ich einige Minuten wartete, bis er wieder zurückkam. Er stapfte nach nebenan, um in Ruhe telefonieren zu können.
Ich ging ans Fenster und sah in den verhangenen Nachthimmel hinaus. Nach drei Minuten hatte ich mich noch immer kein bisschen beruhigt. Ich nahm mein Handy, die Reserveschlüssel von Jakes Wohnung, die siebenundvierzig Dollar Bargeld, die ich noch hatte, bis ich am nächsten Morgen an einem Bankautomaten vorbeikommen würde, und stopfte alles in meine Umhängetasche. Ich musste raus aus der Wohnung, bevor ich explodierte. Und ich musste herausfinden, wer die tote Frau war.
Jake war noch immer im Arbeitszimmer, als ich meinen Mantel anzog, die Wohnung verließ und zum Aufzug ging.
Ich drückte die Drehtür auf, noch bevor der Portier aufstehen und sie mir aufhalten konnte. Im Eisregen bog ich um die Ecke, auf der Suche nach einem Coffee Shop, von wo aus ich einige örtliche Polizeiwachen anrufen konnte, um herauszufinden, ob innerhalb der letzten
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