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Das Totenhaus

Das Totenhaus

Titel: Das Totenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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weitere Reihen leerer Fensterrahmen waren - insgesamt drei Stockwerke, auch wenn die Fußböden der anderen zwei nicht mehr existierten. Die vier Seitenwände schienen alles zu sein, was von dem Gebäude noch übrig war. Zu klein für eine Anstalt, aber zu trostlos, als dass es einmal ein Privathaus gewesen sein könnte.
    Ich schob mich näher an die glatten, orangefarbenen Ziegelpfosten des Fensters neben mir. Wieder pfiff mir der Wind schmerzhaft ins linke Ohr. Ich reckte den Hals, um durch den verwitterten, von spitzen Eiszapfen eingefassten Steinbogen nach draußen zu blicken.
    Durch den grauen Schleier des Schneegestöbers konnte ich das Leuchten von riesigen roten Neonbuchstaben sehen. Lies die Worte, befahl ich mir. Hinter mir huschten wieder Ratten durch die Hohlräume des Gebäudes.
    Ich konzentrierte mich auf das riesige Schriftzeichen; es war, als ob ich den Gegenstand im Innern einer auf den Kopf gestellten Schneekuppel erkennen wollte.
    Pepsi-Cola. Ich las es vier oder fünf Mal, um mich zu vergewissern, dass das tatsächlich die Worte waren.
    Woher kannte ich dieses Zeichen? Eine riesige rote Werbung, die ich schon unzählige Male gesehen hatte, dachte ich. Konzentrier dich. Bring's zusammen. Die Bezirksstaatsanwaltschaft, meine Wohnung, die Skyline, die Stadt. Verbinde die Bilder. Jeden Abend, wenn ich das Büro verließ und auf dem FDR Drive Richtung Uptown fuhr, sah ich das Pepsi-Cola-Zeichen, einige Stockwerke hoch, vom Queens-Ufer über den East River herüberleuchten.
    Ich drehte mich weiter nach links, und ein eiskalter Eiszapfen stach mir ins Kinn, als ich versuchte, meinen Bildausschnitt zu vergrößern. Ja, dort waren die vier riesigen Schornsteine von Big Allis und bliesen dicke Rauchwolken in den Nachthimmel, so als ob sie mit dem Schneetreiben wetteifern wollten.
    Also musste ich auf der Insel in der Mitte des Flusses sein. Nicht auf Roosevelt Island, der Insel, die ich vor einigen Tagen besucht hatte. Sondern auf Blackwell's. Irgendeine ausgeschlachtete Hülle eines verlassenen Gebäudes aus dem neunzehnten Jahrhundert, das darauf wartete, von Wissenschaftlern und Studenten, Historikern und Schatzsuchern erforscht zu werden.
    Jetzt begann ich, die Puzzleteile zusammenzufügen. Ich erinnerte mich daran, mit Chapman in meinem Büro gewesen zu sein. Ich konnte mich ebenso deutlich daran erinnern, mit ihm zum King's College zu dem Treffen mit Sylvia Foote gefahren zu sein. Aber dann verschwamm alles, und ich kam einfach nicht dahinter, ob ich mir eine Kopfverletzung zugezogen hatte oder ob ich etwas zu mir genommen hatte, das mein Gedächtnis beeinträchtigte.
    Wegen der Fesseln konnte ich mich nur schwer bewegen, aber es war mir unmöglich, ruhig sitzen oder liegen zu bleiben. Ich drückte mich vom Fenster ab und bewegte mich auf die gegenüberliegende Seite auf etwas zu, das wie ein Giebelbogeneingang aussah.
    Ich schraubte mich auf die Knie und versuchte, eine kaum mehr leserliche Inschrift auf einer Plakette an der Wand zu entziffern. In der unteren Ecke war eine Bibelstellenangabe, und von dem, was von den Buchstaben noch übrig war, sah es nach dem Buch Hosea aus. Irgendetwas darüber, jemanden von der Macht des Grabes und vom Tod zu erlösen. Ich kannte den biblischen Kontext nicht, aber ich wusste den Gedanken zu schätzen.
    In dem düsteren Licht konnte ich die größeren Buchstaben sehen, die über der Plakette in das Terracottapaneel über dem Torbogen gemeißelt waren: STRECKER MEMORIAL LABORATORY.
    Ich sank zu Boden, als ob ich einen Schlag in die Magengrube erhalten hätte. Das war das Leichenhaus.
    Was hatte uns Nan darüber erzählt? Eines der ersten Pathologielabore in Amerika. Das hier musste der Ort sein, zu dem man auf Blackwell's Island alle Leichen gebracht hatte. Warum war ich hier? Wer hatte mich gefesselt und in dieser eiskalten Ruine zurückgelassen?
    Ich konnte beim Eingang wieder das Geräusch der Ratten hören. Halb kroch, halb schob ich mich weg von der Tür, aus Angst, mit den ekelhaften Tieren zusammenzustoßen.
    Durch eine Fensterhöhle blies eiskalte Luft vom Nachthimmel herein, und ich schob mich daran vorbei in eine der Ecken des Gebäudes, wo ich etwas geschützter sein würde. Meine Füße waren so fest zusammengeschnürt, dass ich nicht aufstehen konnte. Da stieß ich mit dem Rücken an einen Holzschrank. Die Kanten und Randhölzer des Schranks waren total morsch und hatten sich von den Streben gelöst. Sie ragten in den Raum und machten es schwierig,

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