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Das Totenhaus

Das Totenhaus

Titel: Das Totenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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daran vorbeizukommen.
    Ich ruhte mich eine Minute aus und schob mich dann weiter, blieb mit meinem Anorak an einem verrosteten Metallstück hängen, das ich in der Dunkelheit nicht gesehen hatte, und riss mir ein Loch in den Ärmel.
    Ich bewegte mich rückwärts, um mich zu befreien, und sah zum ersten Mal, woran ich hängen geblieben war. Die Türen des Schranks standen weit offen. Seite an Seite befanden sich darin sechs Leichenfächer, jeweils zwei übereinander, das Holz morsch, aber das Metall noch intakt.
    Einige der Stahlschienen waren in die Fächer hineingeschoben, andere ragten halb in den Raum. Hier war jeder seuchenkranke Blackwell's-Patient aufbewahrt, studiert und obduziert worden.
    Als ich meine gefesselten Hände zur Seite riss, fiel ich nach vorne und stieß mit dem Kopf an das Schubfach in der Mitte. In dem Fach darunter konnte ich die Umrisse eines kleinen Körpers sehen, der in eine Decke mit dem gleichen Schottenmuster eingewickelt war, wie die, die mich bedeckte. Wieder überkam mich eine Welle der Übelkeit.
    Neben den Füßen, direkt neben meinem Kopf, lag ein schmales, ledergebundenes Buch. Ich schubste es mit den Armen auf den Boden.
    So schnell ich konnte bewegte ich mich von dem Schrank weg, wobei ich das Buch mit den Knien vor mir herschob. Ich schlug die erste Seite auf. Es war die Titelseite eines Gedichtbandes von Garcia Lorca, und in der oberen Ecke stand in winzigen Buchstaben der Name der Bucheigentümerin.
    Ich war hier im Leichenhaus allein mit Charlotte Voight.
     
    33
     
    Als Winston Shreve durch den Türbogen kam, befand ich mich in der hintersten Ecke des verfallenen Labors - weit weg von den Überresten von Charlotte Voight, weg von den Ratten und weg von dem Mann, der mich entführt hatte.
    Er war zweckmäßig gekleidet - Skianorak, Jeans und schwere Stiefel -, und jetzt fiel mir ein, ihn am Nachmittag in Sylvia Footes Büro gesehen zu haben, wo er allerdings noch einen Blazer und Stoffhosen getragen hatte. Ich konnte mich noch immer nicht daran erinnern, wie ich aus dem Verwaltungsgebäude herausgekommen und was danach passiert war.
    Mich schauderte, als er mich in der dunklen Ecke, in der ich mich verkrochen hatte, entdeckte, aber ich zitterte schon seit Stunden vor Kälte.
    Der gefrorene Schnee knirschte unter Shreves Stiefeln, als er auf mich zukam. Er blieb kurz stehen, um die Decke aufzuheben, die mir vom Körper gerutscht war, als ich mich durch den Raum bewegt hatte, dann kniete er sich vor mich hin und legte sie mir wieder um die Schultern.
    »Ich bin kein Mörder. Das ist das Erste, was Sie verstehen müssen.«
    Mir musste die Angst ins Gesicht geschrieben sein. Er redete weiter.
    »Ich werde Ihnen nicht wehtun, Alex. Ich habe Sie hierher gebracht, weil ich heute Nacht Ihre Hilfe brauche. Ich bin kein Mörder.«
    Angesichts Charlottes Leiche zwischen mir und der Tür fiel es mir schwer, ihm zu glauben.
    »Ich glaube, Sie haben etwas, was ich brauche, und wir werden uns eine Weile gegenseitig vertrauen müssen.« Er griff hinter mich und entfernte die Fesseln von meinen Handgelenken. Ich konnte sehen, dass es eine Herrenkrawatte war.
    »Ich werde Ihnen auch den Knebel abnehmen. Vielleicht wird Sie das davon überzeugen, dass ich nichts Extremes tun werde.« Er knotete das Taschentuch auf und wischte mir dann damit die Feuchtigkeit von der Stirn und den Wangen. Ich registrierte, dass seine Hilfsmittel die eines Amateurs waren - Kleidungsstücke an Stelle von Seilen und Klebebändern -, und versuchte, daraus Hoffnung zu schöpfen.
    Ich bewegte meinen Unterkiefer und öffnete und schloss den Mund. Er war steif und wund. Dass er mir den Knebel abgenommen hatte, überzeugte mich nicht. Jetzt, da ich wusste, wo ich war, vermutete ich, dass sich im Umkreis von einer Meile keine Menschenseele mehr befand. Wir waren auf drei Seiten von Wasser umgeben, und Richtung Norden lag ein Trümmerfeld, das von der Bevölkerung von Roosevelt Island durch einen Metallzaun und Stacheldraht abgetrennt war. Selbst wenn der kräftige Wind nicht so laut heulen würde, würde niemand meine Schreie hören.
    Ich fand meine Stimme wieder. »Ist das Charlotte Voight?«
    Der Archäologe stand vor mir; er drehte sich um und warf einen Blick auf die stählernen Leichenfächer, bevor er antwortete. »Ja, aber ich habe sie nicht umgebracht.« Er wiederholte sein Dementi langsam und mit Nachdruck, als ob es eine Rolle spielen würde, dass ich ihm glaubte.
    »Ich war in Charlotte vernarrt. Ich hätte

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