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Das Totenhaus

Das Totenhaus

Titel: Das Totenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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nachdem ich wieder zu Bewusstsein gekommen war, hatte ich Winston Shreve glauben wollen. Ich wollte glauben, dass ich in Sicherheit war und ihm vertrauen konnte. Er hatte Charlotte Voight nicht umgebracht. Aber hätte er sich ein grausameres Schicksal für sie ausdenken können, als ihre Leiche an diesem trostlosen Ort zurückzulassen?
    Und was war mit Lola Dakota? Warum war Lola Dakota gestorben? Im Gegensatz zu Charlottes Tod war ihrer kein Unfall gewesen.
    Und dann fiel mir ein, was Claude Lavery uns erzählt hatte. Er hatte uns zu überzeugen versucht, dass er Lola seit über einem Monat nicht mehr gesehen hatte. Wir wussten von Bart, dass das nicht stimmte. Aber Claude war sich sicher, dass Lola zu ihm gesagt hatte, dass sie wusste, wo Charlotte Voight war und dass sie zu dem Mädchen gehen würde.
    Diese Aussage hatte Mike und mich irrtümlicherweise hoffen lassen, dass Charlotte noch am Leben war. Jetzt kämpfte mein, in seiner normalen Funktionstüchtigkeit beeinträchtigtes Gehirn gegen das Beruhigungsmittel an und versuchte, sich auf die logische Abfolge der Ereignisse zu konzentrieren.
    Falls Bart Recht hatte, dann hatten sich Lavery und Lola vor dem Hauseingang getroffen und waren zusammen ins Haus gegangen. Lavery drohte ohnehin bereits eine Gefängnisstrafe von der Bundespolizei. Er musste nicht auch noch als Sündenbock in einer Mordermittlung herhalten, als der Letzte, der Lola Dakota lebend gesehen hatte.
    Aber angenommen, sie hatte ihm genug vertraut, um ihm zu sagen, was sie herausgefunden hatte? Dass sie wusste, wo Voight war, und dass sie zu ihr gehen würde. Wie ich hatte Lavery vermutet, dass das hieß, dass Charlotte am Leben war. Lola wusste es besser. Hatte sie Shreve deswegen zur Rede gestellt, in der Zeit zwischen ihrer Ankunft in ihrer Wohnung und als sie sie knapp eine Stunde später wieder verlassen wollte? Hatte sie damit gedroht, zur Insel hinüberzufahren, um ihre Theorie zu beweisen? Und war es Shreve gewesen, der sie daran gehindert hatte?
    Ich versuchte wieder, mich zu befreien. Zuerst die Füße. Ich bot jedes Fünkchen Energie, das ich noch hatte, auf, die Fesseln zu lockern. Ich konnte nicht sagen, ob sie sich wirklich lockerer anfühlten oder ob ich das nur glauben wollte.
    Ich hielt inne, um mich auszuruhen. Der Wind fuhr durch das große Loch in der Mauer, das einmal ein Fenster gewesen war. Er drang in jede Öffnung, blies durch die Kapuze meines Anoraks in meine Ohren und durch die Ärmel und stellte die Funktionsfähigkeit meiner Thermowäsche auf die Probe.
    Obdachlose überlebten das jede Nacht im Winter, sagte ich mir. In der ganzen Stadt kauerten sich in diesem Augenblick Männer und Frauen, Gebrechliche und Schwachsinnige unter Pappkartons und in Hauseingängen zusammen. Du kannst es schaffen, machten mir leise Stimmen Mut. Man weiß, dass du vermisst wirst, und man sucht nach dir. Wie viele leere Leichenfächer waren zu beiden Seiten von Charlotte? Was musste ich tun, um nicht in einem von ihnen zu landen und auf das Tauwetter im Frühjahr zu warten?
    Ich hörte die Schritte auf der dicken Schneedecke, bevor ich den dünnen Lichtstrahl sah. Winston Shreve war zurück, mit einem zwei Meter langen dicken Seil in der Hand.
     
    36
     
    Shreve redete mit mir, aber ich konnte meinen Blick nicht von dem Seil abwenden. Er ging vor mir in die Hocke, um mir die Fesseln abzunehmen, die mir im Vergleich zu der mächtigen Waffe, die er gerade auf die durchgescheuerte, fleckige Matratze hatte fallen lassen, jetzt wie Puppenkleider erschienen.
    »Das ist nur für den Fall, dass etwas schief geht, Ms. Cooper. Lassen Sie sich davon keine Angst einjagen.«
    Ich verstehe. Bis jetzt lief alles genau nach Plan. Alles lief wunderbar. Was hatte ich nur ausgelöst, als ich Sonntagnacht aus Jakes Wohnung gestürmt war? Ich schloss die Augen und versetzte mich in Gedanken auf das Sofa in seinem Wohnzimmer und dachte daran, wie gut es sich anfühlen würde, wenn er mich streicheln und lieben würde. Wie konnten die letzten vierundzwanzig Stunden nur so schief gelaufen sein?
    Ich massierte meine Hand- und Fußgelenke, um sie aufzuwärmen. Meine Füße waren taub und begannen jetzt zu kribbeln.
    Shreve hatte auch eine Plastiktüte von einem 24-Stunden-Lebensmittelladen dabei, an dem er auf dem Rückweg zur Second-Avenue-Drahtseilbahn vorbeigekommen sein musste. Er wickelte Sandwichhälften aus der Aluminiumfolie und nahm die Deckel von zwei großen Styroporbechern mit Kaffee.
    »Hier, absolut

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