Das Totenhaus
sicher.« Er trank ein paar Schlucke aus meinem Becher, um mir zu zeigen, dass er nichts hineingemischt hatte. Ich trank die lauwarme Flüssigkeit, und sie wärmte beim Schlucken einige Zentimeter meines von der Kälte arg lädierten Halses. Vielleicht war es mir sogar egal, ob er etwas hineingetan hatte. Schlaf war womöglich besser als das, was mir in diesem urbanen Iglu noch bevorstand. Ich trank den Becher in drei Minuten leer. Es lag entweder am Koffein oder an Shreves Rückkehr - jedenfalls war ich jetzt hellwach.
Er reichte mir ein Sandwich, aber ich lehnte ab. Ich hatte seit Stunden schrecklichen Hunger, aber jetzt packte mich wieder die Übelkeit, und ich konnte nicht einmal den Anblick von Essen ertragen.
»Was wissen Sie über den Miniaturgarten meines Großvaters, Ms. Cooper?«
Ich schwieg.
»Sie werden sich besser fühlen, wenn Sie etwas im Magen haben. Sie wollen kämpfen, hab ich Recht?« Ich sah ihm schweigend dabei zu, wie er von dem Truthahnsandwich abbiss. »Sie versuchen, die Situation hier bis zum Morgengrauen rauszuziehen?«
Ich wusste, dass Mike und Mercer Shreve nicht aus dem Revier hatten gehen lassen, ohne jemanden auf ihn anzusetzen, noch dazu, falls er diese Sache mit der Jeopardy!- Antwort losgeworden war. Wenn es mir gelang, ihn noch ein bisschen hinzuhalten, dann würde mich die Mordkommission sicher finden.
»Was hat Detective Chapman gesagt?«
»Entschuldigung, ich hätte es gleich sagen sollen. Von Mr. Chapman war heute Nacht weit und breit keine Spur.«
Ich schlug die rechte Hand vor den Mund und knabberte an dem feuchten Lederhandschuh, um mir mein Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Es konnte nicht sein, dass Mike nicht dort gewesen war, um den Hinweis, der ihn zu mir führen konnte, abzufangen.
»Er verfolgte irgendeine andere Spur in New Jersey. Jemand anders nahm meine Aussage auf. Ein afroamerikanischer Gentleman, Mr. Wallace. Er heiratet morgen, am Neujahrstag. Alle waren in der Tat recht fröhlich. Whisky machte die Runde, und sie tranken auf sein Wohl und das seiner Braut. Ein bisschen abgelenkt von der Suche nach Ihnen, würde ich sagen. Wallace schien auch von dieser Fernsehshow zu wissen. Er sagte, dass sich das ganz nach Ihnen anhörte - immer die letzte Frage sehen zu wollen.«
Verdammt. Er hatte Recht. Für Mercer war die Information wahrscheinlich beruhigend gewesen. Für ihn war es völlig einleuchtend, dass ich mir die Quizshow im Wartezimmer des Krankenhauses angesehen hatte, und er war letzte Woche nicht dabei gewesen, als Mike und ich die Elizabeth-Blackwell-Frage gehört hatten. Es würde ihn nicht stutzig machen. Würde er Mike überhaupt davon erzählen, wenn sie das nächste Mal miteinander sprachen?
»Mr. Wallace konnte durchaus nachvollziehen, dass ich mir Sorgen machte, weil Sie die Notaufnahme um neun herum verließen, um sich ein Taxi zu schnappen. Er sagte, dass es in der Gegend von Drogendealern und Jugendbanden nur so wimmelt. Ich hoffe, dass sie ihre Bemühungen verstärken werden, Sie zu finden. Anscheinend fand man erst vor wenigen Stunden in einer Gasse eine alte Frau, die von irgendwelchen Jugendlichen wegen sieben Dollar und einem Kreuz an einem Goldkettchen zusammengeschlagen worden war. Sie brachten sie in dieselbe Notaufnahme, wo Sie und ich auf Sylvia gewartet haben.« Shreve hielt inne. »Und dann erinnerte ein anderer Detective Mr. Wallace daran, dass Sie gerade von irgendeiner Frau belästigt werden. Irgendeine Lady mit einer Pistole.« Er schüttelte den Kopf in gespielter Bestürzung, während ich daran dachte, wie leicht die Detectives im Moment einer falschen Spur folgen und die East Seventies nach meiner verärgerten Verfolgerin absuchen könnten.
Ich versank tiefer in meiner eisigen Verzweiflung. Was, wenn Mike sich überhaupt keine Sorgen um mich machte? Was, wenn er und Valerie es sich zu Hause gemütlich gemacht hatten und wie ein normales Paar die Zweisamkeit genossen? Vielleicht hatte er genug von meinen ständigen Unabhängigkeitsritualen und dachte, dass ich aus dem Krankenhaus ebenso davongestürmt war wie aus Jakes oder seiner Wohnung. Vielleicht geschah es mir ganz recht, mit einem Killer in einer gottverlassenen Ruine festzusitzen.
»Das Miniaturmodell, das mein Großvater hatte anfertigen lassen, Ms. Cooper. Sie scheinen sich dafür genauso sehr zu interessieren wie ich. Sollen wir reden?«
Shreve hatte mich bisher am Leben gelassen, weil er der Meinung war, dass ich wusste, wo das Modell war
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