Das Totenhaus
Lance war die Kopie meines Vaters. Sehr ernst, sehr fleißig. Sein Lieblingsort war die öffentliche Bücherei, teils, weil er Cecis ständigem Kreischen entkommen wollte, die uns dazu antrieb, dem Milchmann, dem Postboten und jedem, der den Fehler machte, bei uns an die Tür zu klopfen, >Let Me Entertain You< vorzusingen, und teils, weil er es liebte, aus Büchern zu lernen.«
»Und Lola?«
»Eine perfekte Kombination ihrer Gene. Sie hatte einen messerscharfen Verstand, steckte andauernd ihre Nase in die Geschichtsbücher meines Vaters, und sie liebte es, mit ihm zu den politischen Versammlungen zu gehen und den Mauscheleien zuzuhören. Aber wenn man ihr ein paillettenbesetztes Kostüm gab und eine Bühne anbot, ließ sie die Bücher stehen und liegen, vorausgesetzt, dass sie ein Publikum hatte. Lola war nicht jemand für die zweite Reihe oder die zweite Besetzung. Für sie war es völlig inakzeptabel, die zweite Geige zu spielen. Entweder sie war der Star, oder sie spielte nicht. Als sie in der High School merkte, dass sie nicht das Talent hatte, um richtig groß rauszukommen, stürzte sie sich voller Eifer in ihre Schularbeiten. Sie bekam ein Vollstipendium für Barnard. Hauptfach Politik, Nebenfach Geschichte. Dann machte sie ihren Magister und ihren Doktor an der Penn. Und hat es nie bereut. Sie genoss jede Minute ihres Lebens, das heißt, ihres Berufslebens, nicht ihres Ehelebens.«
Mike lief auf Hochtouren. »Gab es eine andere Frau in Ivans Leben? Konkurrenz für Lola?«
»Falls es sie gab, wussten wir nichts davon. Ich glaubte meiner Schwester, als sie sagte, dass sie ihn für immer los sei. Ich glaube, dass sie froh gewesen wäre, wenn sich seine Aufmerksamkeit - und seine Wut - auf jemand anderen gerichtet hätte.«
»Wie sah's mit ihrem Liebesleben aus? Hat sie sich Ihnen diesbezüglich anvertraut?«
»Da gab es nichts zu erzählen. Lola hatte weder Zeit noch Interesse für eine Beziehung. Sie hatte alle Hände voll zu tun mit einem Projekt an der Uni, und sie hatte kein Verlangen, sich, bevor die Scheidung durch war, von Ivan mit einem anderen Mann erwischen zu lassen und ihn dadurch noch wütender zu machen.«
Ich setzte mich in einen Sessel gegenüber von Lily und versuchte, mich wieder in die Unterhaltung einzuklinken. »Vielleicht könnten Sie sich einige Hemden und Pullover anschauen, die wir in Lolas Wohnung gefunden haben. Es würde uns helfen, zu wissen, was sie trug, als sie am Donnerstagnachmittag hier wegfuhr. Und einige - nun, einige der Sachen in ihrer Wohnung sind Männerklamotten. Vielleicht erkennen Sie die auch.«
»Sie müssen Ivan gehören. Oder vielleicht einem der Professoren, mit denen sie befreundet war. Natürlich können Sie sie mir zeigen, aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass ich sie erkennen werde. Ich habe gestern eine Vollmacht unterschrieben, die Vinnys Behörde das Recht gibt, sich aus ihrer Wohnung alles zu holen, was bei den Ermittlungen weiterhilft.«
Ich schnitt eine Grimasse in Richtung Chapman, verärgert darüber, dass sich Lily noch immer in den Klauen der Staatsanwaltschaft von Jersey befand, und dankbar, dass die New Yorker Polizei Apartment 15A als Tatort deklariert hatte. Die Wachposten vor der Tür, die mit gelbem Band abgesperrt war, würden ohne die ausdrückliche Genehmigung des Chief of Detectives niemanden hineinlassen.
»Wissen Sie, an welchem Projekt am King's College Lola arbeitete?«
»Na ja, das ist mir ein bisschen peinlich. Die letzten Wochen saßen wir fast jeden Abend bis spät in die Nacht hier, lange, nachdem mein Mann schon zu Bett gegangen war. Wir machten eine Flasche Wein auf und redeten über unsere Kindheit, unsere Ehen, über das Broadway-Theater. Revivals. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass es heutzutage nur noch Revivals gibt? Wir unterhielten uns darüber, wie sehr wir beide Weihnachten mochten. Ich war mal eine Rockette - habe ich das schon erwähnt? Ich trat sechs Jahre lang, bis zur Geburt meines ersten Kindes, in der Weihnachtsshow auf. Ceci liebte es, ihre Lily Dakota auf der Bühne zu sehen. Wie dem auch sei, jedes Mal, wenn Lola anfing, von ihrer Arbeit zu erzählen, stieg ich aus. Ich könnte Ihnen nicht die Bohne über New York City, die Geschichte und Politik der Stadt erzählen. Der Norden, Süden oder Osten des Great White Way existieren für mich einfach nicht. Sie sagte etwas von einem multidisziplinären Programm, von dem sie total begeistert war - Ausgrabungen und tote Leute ...«
Ich unterbrach
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