Das Totenhaus
Ich verabscheute sie. Soll ich weiterreden, oder wollen Sie mir Fragen stellen?«
Ich versuchte, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Ich wollte keine potenziell freimütige Schilderung aus einer intelligenten Quelle im Keim ersticken. »Erzählen Sie uns doch einfach alles, was wir Ihrer Meinung nach wissen sollten, und dann sehen wir weiter.«
»Ich war im dritten Studienjahr, als Professor Dakota von der Columbia zum King's wechselte. Alle meine Freunde, die an der Columbia bei ihr Kurse belegt hatten, waren total begeistert. Brillante Wissenschaftlerin, großartige Dozentin. Sie sagten mir, ich solle mir die Chance nicht entgehen lassen, sie kennen zu lernen. Ich setzte mich sogar ein oder zwei Mal im ersten Semester in ihre Kurse hinten rein, weil jeder so begeistert darüber war, wie lebendig und anschaulich sie die Vergangenheit schilderte. Ich hatte zwei Hauptfächer am King's - Geschichte und Politik -, also war es fast selbstverständlich, dass ich mich für ihre Kurse einschrieb. Es hat mich beinahe meine Zulassung zum Jurastudium gekostet.«
Das war ungefähr um die Zeit gewesen, als auch ich Lola Dakota kennen gelernt hatte. Vielleicht hatten ihre privaten Probleme ihren Charakter verwandelt. Ich wusste, dass diese Art von Stress die gesamte Persönlichkeit eines Opfers verändern konnte.
»Sechstes Semester. >Gotham Government - New York City, 1850-1950.< Es hörte, sich interessant an, und ich brauchte es als Hauptseminarschein. Ich arbeitete wie eine Besessene an der Seminararbeit. Es hört sich vielleicht unbescheiden an, Miss Cooper, aber ich habe während meines ganzen Studiums nie eine schlechtere Note als ein A-minus gehabt. Ich wollte unbedingt an eine gute Jurafakultät und machte mir Sorgen, da das King's ja ein Experimentiercollege war und man die Leistungen der Studenten noch nicht so gut einschätzen konnte. Alles, was ich tun konnte, war, zu versuchen, so nahe wie möglich an einen Notendurchschnitt von Vier-Null zu kommen und mich gründlich auf meine Aufnahmeprüfungen vorzubereiten. Dakota gab mir ein D. Das Einzige, das ich jemals in meinem Leben bekommen hatte.«
»Scheiße. Ich kam jedes Semester mit einem D nach Hause. Ich sagte meinem Alten, dass es für >Deutlich über dem Durchschnitt< stünde.« Chapman versuchte, ihr durch seine Schmeichelei die Befangenheit zu nehmen, damit sie weitererzählte.
Wie sollte ich ihre Aussage einschätzen? Jeder verärgerte Schüler oder Student, der jemals nicht die erhoffte Note bekommen hatte, wollte dem Lehrer die Schuld dafür geben. »Haben Sie die Benotung angefochten?«
»Der Dekan ertrank fast in Beschwerden aus Dakotas Kursen. Sie hat sich jedes Semester ein oder zwei Lieblinge auserkoren - normalerweise Männer -, und wir anderen konnten sehen, wo wir blieben. Wir machten Witze, dass ihr Alphabet nur vierundzwanzig Buchstaben hatte und mit dem Buchstaben C anfing.«
Mike beugte sich vor, einen Ellbogen auf das Knie und das Kinn in die Hand gestützt. »Wussten Sie, dass sie zu der Zeit ziemliche Unannehmlichkeiten in ihrer Ehe hatte? Dass ihr Ehemann -«
»Ich wusste nicht, dass sie noch immer verheiratet war, bis ich darüber in dem Nachruf las. Wir dachten, dass sie eine Affäre mit einem Professor hätte.«
Mike blickte Gloria weiter in die Augen. »Mit wem?«
»Ach, niemand Speziellem. Sie wissen doch, wie Collegestudenten sind. Jedes Mal, wenn wir zwei Professoren im Dozentenzimmer beieinander stehen sahen oder sie fünf Minuten zu spät in die Klasse kam, gab es Gerüchte. Verrücktes Zeug, und das wussten wir.«
»Welche Art von Gerüchte? An welche Namen erinnern Sie sich?«
»Die eine Woche war es Professor Lockhart - er unterrichtet amerikanische Geschichte. Dann wieder war es einer der Naturwissenschaftler - Biochemie, glaube ich. Ich sehe sein kleines Strebergesicht vor mir - Nickelbrille mit urinfarbenen Gläsern. Nachdem Recantati im Herbst vorübergehend auf den Präsidentenposten berufen wurde, fanden einige meiner Freunde, dass sie andauernd um ihn herumscharwenzelte. Und ab und zu fiel auch der Name eines Studenten.«
»Haben Sie sie schon gehasst, bevor Sie die schlechte Note bekamen?«
»Sie hatte etwas sehr Gemeines an sich. Im Unterricht. Sie liebte es, eine Show abzuziehen, also waren wir während der Vorlesungen ganz gebannt von ihr. All ihr Detailwissen, und dass sie es so bereitwillig mit uns teilte. Aber sie konnte auf einen Schlag ohne ersichtlichen Grund total wütend werden, vor
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