Das Totenhaus
gehabt. Das Letzte, was ich am Ende meines ersten Semesters hier brauchte, war eine ermordete Kollegin. Es ist der kälteste Tag des Jahres, und ich schwitze, als ob es Mitte Juli wäre.«
Ich fand es immer interessant, wie Leute, die Mordopfern nahe standen, ihre eigenen Sorgen wichtiger nahmen als die der oder des Toten. Irgendwie hätte ich erwartet, dass alle diese Interviews mit einem Ausdruck der Trauer über die verstorbene Lola Dakota beginnen würden.
»Haben Sie Ms. Dakota schon lange gekannt?«
»Ich habe sie erst kennen gelernt, als ich im September ans College kam. Sie hat - hatte - einen großartigen Ruf in ihrer Disziplin, und ihre wissenschaftliche Arbeit über New York City im zwanzigsten Jahrhundert war mir ein Begriff, lange bevor ich sie persönlich kennen lernte. Ich zählte darauf, dass sie eine unserer produktivsten Leute sein würde und in der Beziehung hat sie mich nicht enttäuscht. Lolas neuestes Buch sollte im Frühjahr bei einem kleinen Universitätsverlag erscheinen. Und sie hatte bereits einige Artikel über Blackwell's veröffentlicht, sowohl in Fachjournalen als auch in anderen Zeitschriften.«
»Veröffentlicht und weg vom Fenster? Es sind grausame Zeiten.«
Chapmans Humor war nicht jedermanns Sache. Ich machte mir einen Vermerk, mir das Manuskript von Dakotas nächstem Buch zu besorgen. Vielleicht gab es etwas in ihren Forschungen, das für unsere Ermittlungen aufschlussreich wäre. »Hat man sie jemals des Plagiats bezichtigt oder dass sie das intellektuelle Eigentum eines anderen Professors gestohlen hätte?«
»Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass Lola ein Original war. Das war keins ihrer Probleme.«
»Sondern, Mr. Recantati? Was waren ihre Probleme?«
Er stotterte ein bisschen rum. »Nun - nun, sicher könnte man da bei ihrer Ehe anfangen. Ihrem verrückten Ehemann. Das war für uns alle am College ein Thema.«
»Wie meinen Sie das?«
»Lola brachte ihre Eheprobleme jeden Tag mit in die Arbeit. Ich meine, natürlich nicht physisch. Aber sie hatte immer furchtbare Angst, dass Ivan nach einem Streit oder einem Treffen mit ihren Anwälten an der Schule auftauchen würde. Sie machte sich genauso viele Sorgen um ihre Studenten und Kollegen wie um sich selbst. Sie hat mit Sylvia und mir ziemlich oft darüber geredet. Sie hatte Angst, dass Ivan aufkreuzen würde - oder schlimmer noch, einen Auftragskiller an die Uni schicken würde, der jeden, der ihm in den Weg kam, über den Haufen schießen würde, sobald er Lola ins Visier genommen hatte. Gott sei Dank war sie allein, als es passierte.«
Ich zuckte angesichts des Egoismus des Mannes zusammen. Wie mussten ihre letzten Augenblicke ausgesehen haben? Konfrontiert mit dem Killer an der eigenen Wohnungstür. War er bei ihr in der Wohnung gewesen? Hatte er draußen gewartet, weil er wusste, dass sie irgendwohin gehen wollte? Oder war es eine Zufallsbegegnung mit einem Fremden, und vergeudeten Chapman und ich unsere Zeit, indem wir mit ihren Freunden redeten, während sich noch immer ein Vergewaltiger oder Einbrecher im Viertel herumtrieb?
Recantati rieb sich mit dem Zeigefinger über die Unterlippe. »Das hört sich wohl etwas kaltherzig an.« Er stockte erneut. »Und, und ich - äh, es ist eine reine Vermutung, dass sie allein war, als sie ermordet wurde, schätze ich. Wissen Sie irgendetwas darüber? Wie sie gestorben ist, meine ich?«
Mike ignorierte die Fragen. Er wollte zuerst seine eigenen beantwortet haben. »Sie sind Historiker, richtig? Erzählen Sie uns von Ihrem Werdegang, bevor Sie ans King's kamen.«
»Meine akademische Laufbahn? Ich habe an der Princeton meinen Bachelor gemacht, dann den Magister und die Promotion an der Universität von Chicago. Ich hatte das Historische Seminar in Princeton geleitet, bis ich hierher kam, um die Stelle als kommissarischer geschäftsführender Präsident zu übernehmen, bis die Findungskommission jemanden für die Stelle findet. Ich bin - äh, ich werde im März fünfzig. Ich wohne außerhalb Princetons, obwohl mir das King's für die Dauer meines Aufenthalts ein Apartment auf dem Campus zur Verfügung stellt.«
»Verheiratet?«
»Ja. Meine Frau unterrichtet Mathematik an einer Privatschule in der Nähe von Princeton. Wir haben vier -«
»Weiß sie über Ihre Beziehung - Ihre sexuelle Beziehung - zu Lola Bescheid?«
Recantati rieb sich jetzt heftig die Unterlippe. »Ich hatte - wir hatten keine solche Beziehung.«
Er hatte einen Augenblick zu lange gezögert, als
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