Das Totenhaus
Hand ihrer Begleiterin herein, adrett gekleidet mit einem sauberen weißen Sweatshirt und Khakihosen. Sie lächelte mich an, als wir einander vorgestellt wurden, und sagte etwas, das sich anhörte wie: »Freut mich, Sie kennen zu lernen.«
Über eine Stunde lang bemühte ich mich, eine zusammenhängende Schilderung der Ereignisse aus der jungen Frau herauszubekommen. Ihre Begleiterin saß neben ihr und strich ihr sanft über den Arm, wenn die einfachsten Fragen Tina zu verwirren schienen. Falls ich eine Antwort nicht verstand, erklärte mir Dr. Herron, was die Patientin gesagt hatte. Jedes Mal, wenn ich Chesters Namen erwähnte, wurde Tina sichtlich unruhig.
Trotz aller Vorkehrungen, die man getroffen hatte, hatte ein Patient namens Jose Tina eines Morgens nach dem Frühstück auf dem Gang getroffen und sie aufgefordert, mit auf sein Zimmer zu kommen. Sie mochte Jose und begleitete ihn gern. Dr. Herron unterbrach sanft, um zu erwähnen, dass Jose paranoid und schizophren war sowie etwas verwirrt, was seine sexuelle Orientierung anging. Tina sagte uns, dass Jose immer nett zu ihr war und dass sie Sex mit ihm hatte, weil sie dachte, dass sie schäumte. Sie machte ihren Mund weit auf und streckte ihre Zunge heraus, während sie versuchte, das Wort »schäumte« noch einmal zu sagen.
»Schäumte? Was -?«
»Nein, nein, Alex. Tina sagte, sie dachte, dass sie träumte, als sie es tat.« Die Patientin lächelte, als Dr. Herron mich berichtigte. »Tina weiß, dass wir nicht gutheißen, dass sie ... nun, sie versucht normalerweise ihre Aktivitäten damit zu rechtfertigen, dass sie denkt, sie seien nicht wirklich passiert. Dass sie es sich nur eingebildet oder davon geträumt hat, habe ich Recht, Tina?«
Tina nickte. Es war klar, dass ich die Voruntersuchung nicht würde durchführen können, falls mir der Richter nicht erlaubte, die Ärztin als Dolmetscherin einzusetzen. »Was ist danach passiert?«
Tina erklärte, dass Jose sie verließ, um auf die Toilette zu gehen. Da kam Chester herein. Er fragte, ob er zu ihr ins Bett kommen und mit ihr schlafen könne. Sie hatte Angst, weil sie wusste, dass er leicht die Beherrschung verliert, und sagte ihm, dass es in Ordnung sei.
»Fürchteten Sie sich vor Chester?«
Keine Antwort.
»Hat er Sie irgendwie bedroht?« Ich überlegte, ob ich den Schweregrad der Straftat anheben könnte, falls Chester Gewalt angewendet hatte.
Tinas Antwort war deutlich zu verstehen, als sie »Nein« sagte.
»Jose kam wieder ins Zimmer, Alex. Als er Chester mit Tina im Bett sah, ging er hinaus, um eine Krankenschwester zu holen. Deshalb wissen wir auch ganz sicher, dass Geschlechtsverkehr stattgefunden hat. Die Krankenschwester war Zeugin.«
»Das ist gut. Ich kann es Tina ersparen, bei der Voruntersuchung auszusagen, wenn ich die Krankenschwester als Zeugin laden kann.«
»Ich befürchte, sie ist über Weihnachten zu ihren Eltern nach Montana geflogen.«
»Wie steht es mit Chesters Fähigkeit, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden?«
»Er kennt mit Sicherheit den Unterschied, und er weiß, dass das, was er mit Tina getan hat, falsch war. Sein Psychiater kann Ihnen das bestätigen. Sein Problem ist, dass er leicht die Beherrschung verliert und oft völlig ohne Grund tobt. Chester ist zwanzig Jahre alt. Er hat die meiste Zeit seines Lebens in Krankenhäusern verbracht, aber zum Zeitpunkt seiner letzten Festnahme war er obdachlos.«
»Wie lautete die Anklage?«
»Er hatte einen alten Mann zusammengeschlagen, der versucht hatte, ihn daran zu hindern, ohne Fahrkarte in einen Bus zu steigen.«
Ich fuhr fort, Tina für die Voruntersuchung zu präparieren, die noch diese Woche stattfinden musste, damit Chester mit einer hohen Kautionsforderung im Gefängnis blieb. Die Krankenhausobrigkeit wollte, dass er hier weggeschafft wurde, während unser Anliegen sein würde, ihn bis zur Hauptverhandlung in der Gefängnispsychiatrie unterzubringen. Ich wollte nicht, dass er entlassen wurde und dann auf der Straße stand, ohne ein Zuhause und ohne jemanden, der seine Einnahme der Psychopharmaka beaufsichtigte.
»Entschuldigung, Dr. Herron?« Wir sahen auf, als eine Krankenschwester ins Zimmer kam. »Gerade hat die Gerichtsschreiberin angerufen. Sie sind unten. Der Richter will wissen, wann die Voruntersuchung anfängt.«
Es war nach zwölf Uhr. »Ich brauche mindestens noch eine halbe Stunde. Sagen wir ein Uhr?«
»Das passt mir auch gut, Alex. Zeigen Sie ihnen den Raum und sagen Sie ihnen, dass
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