Das Totenschiff
Haben Sie verstanden, was ich meine?«
»Ich glaube ja, mein Herr.«
»Und wenn wir Sie nun dahin bringen, nämlich zu Ihrem Konsul, und Sie haben keine Papiere, dann übergibt er Sie uns offiziell, und wir werden Sie nie wieder los. Haben Sie das auch verstanden?«
»Ich denke ja, mein Herr.«
»Was sollen wir denn mit Ihnen machen? Wer ohne Paß aufgegriffen wird, bekommt sechs Monate Gefängnis und Deportation nach seinem Heimatlande. Ihr Heimatland wird bestritten, und wir müssen Sie in das Internierungslager schicken. Wir können Sie doch nicht totschlagen wie einen Hund. Aber vielleicht kommen solche Gesetze noch heraus. Warum sollen wir Sie durchfüttern? Wollen Sie nach Deutschland?«
»Ich mag nicht nach Deutschland. Wenn den Deutschen die Rechnung vorgelegt…«
»Also nicht nach Deutschland. Das kann ich begreifen. Gut für jetzt.« Das war ein Beamter, der offenbar viel gedacht oder viel gute Sachen gelesen hatte.
Er rief jetzt einen Cop herbei und sagte: »Bringen Sie ihn in die Zelle, geben Sie ihm Frühstück und gehen Sie eine englische Zeitung und eine Zeitschrift für ihn kaufen, damit er sich nicht langweilt. Auch ein paar Zigarren.«
8.
Am Spätnachmittag wurde ich wieder vorgeführt, und mir wurde gesagt, ich möge den beiden Beamten in Zivil folgen. Wir gingen auf den Bahnhof und fuhren ab. Auf der Station einer kleinen Stadt stiegen wir aus und gingen in die Polizeiwache der Stadt. Dort saß ich auf der Bank und wurde von allen Cops, die von Ablösung kamen, betrachtet wie ein Tier im Zoologischen Garten. Ab und zu sprach man auch mit mir. Als es gegen zehn Uhr war, sagten zwei Männer zu mir: »Es ist jetzt Zeit. Wir wollen gehen.«
Wir gingen über Felder und gingen auf Wiesenpfaden. Endlich blieben die beiden stehen, und einer sprach mit verhaltener Stimme: »Gehen Sie dort in jener Richtung, die ich Ihnen zeige, immer gerade aus. Sie werden niemand treffen. Wenn Sie aber jemand sehen sollten, so gehen Sie ihm aus dem Wege oder legen Sie sich hin, bis er vorüber ist. Wenn Sie eine Zeit gegangen sind, dann kommen Sie zu einer Bahnlinie. Folgen Sie der Bahnlinie, bis Sie zu der Station kommen. Halten Sie sich dort in der Nähe auf bis gegen Morgen. Sobald Sie sehen, daß ein Zug zur Abfahrt fertiggemacht wird, gehen Sie zum Schalter und sagen: ›Un troisième à Anvers.‹ Können Sie das behalten?«
»Ja, das kann ich. Es ist sehr leicht.«
»Aber reden Sie sonst kein Wort weiter. Sie bekommen dann Ihre Fahrkarte und fahren nach Antwerpen. Dort kriegen Sie leicht wieder ein Schiff, wo man immer Seeleute braucht. Hier haben Sie etwas zum Beißen und auch noch etwas zum Rauchen. Kaufen Sie nichts, bevor Sie in Antwerpen sind. Hier sind dreißig belgische Franken.«
Er händigte mir ein Paket Butterbrote ein, einen Papierbeutel mit Zigarren und eine Schachtel Zündhölzer, damit ich niemand um Feuer anbetteln brauchte.
»Kommen Sie nie wieder zurück nach Holland. Sie bekommen sechs Monate Gefängnis und Internierungskamp. Sie sind also hiermit ausdrücklich verwarnt, vor einem Zeugen. Goodbye und viel Glück.«
Da stand ich in der Nacht auf offnem Felde. Viel Glück! Eine Strecke ging ich nun in jener Richtung, bis ich überzeugt war, daß die beiden mich nicht mehr sehen konnten oder daß sie nun fort waren. Dann blieb ich stehen und begann zu überlegen.
Nach Belgien? Da gab es lebenslänglich Gefängnis. Zurück nach Holland? Da gab es nur sechs Monate Gefängnis. Das war schon billiger. Dann kam noch das Internierungskamp für Paßlose. Hätte ich doch nur gefragt, wie lange das Internierungskamp dauert. Wahrscheinlich war das lebenslänglich. Denn aus welchem Grunde sollte es Holland billiger machen als Belgien?
Ich kam zu dem Entschluß, daß Holland auf alle Fälle billiger war. Es war auch darum besser, weil ich dort mit der Sprache zurechtkommen konnte, während ich in Belgien gar nichts reden konnte und noch viel weniger verstehen.
Nun ging ich erst einmal eine Strecke seitlich fort, ungefähr eine halbe Stunde lang. Und dann querfeldein zurück nach Holland. Das Lebenslänglich war doch zu bitter.
Es ging ganz gut. Nur immer tapfer drauf los.
»Halt! Stehenbleiben! Oder es wird geschossen!« Recht angenehm, wenn plötzlich aus der Finsternis heraus gerufen wird:
»Es wird geschossen.«
Zielen kann der Mann ja nicht, und sehen kann er mich auch nicht. Aber eine nichtgezielte Kugel kann auch treffen. Und das ist schließlich doch noch schlimmer als
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