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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. Traven
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Hinterköpfen beinahe das an die Wand geheftete Sternenbanner berührend, dessen Dimension so riesenhaft war, daß es die ganze Wand ausfüllte, in diesem Raume, wo unschuldige, willig und arbeitsgewohnte Menschen wartend saßen mit einem Ausdruck auf den Gesichtern, als würden hinter jenen zahlreichen Türen in diesem Augenblick ihre Todesurteile unterschrieben, wirkte die fette Dame wie eine niederträchtige Beleidigung. Sie hatte pechschwarze, ölige, lockige Haare, eine auffallend krumme Nase und sehr krumme Beine. Ihre braunen Augen standen so glotzend in dem fetten Teiggesicht, als ob sie im selben Augenblick aus den Höhlen quellen wollten. Sie war gekleidet in dem Besten, was Reichtum nur kaufen kann. Sie keuchte und schwitzte, und unter der Last ihrer Perlenketten, Goldbehänge und Brillantvorstecknadeln schien sie beinahe zusammenzubrechen. Wenn sie nicht so viele schwere Platinringe an den Fingern gehabt hätte, wären die Finger sicher auseinandergeplatzt.
    Kaum hatte sie die Tür aufgemacht, da schrie sie schon: »Ich habe meinen Paß verloren. Wo ist der Mister Konsul? Ich muß gleich einen neuen Paß haben.«
    Ei, sieh da, auch andre Leute können ihren Paß verlieren. Wer hätte das gedacht? Ich hatte geglaubt, das kann nur einem Seemann zustoßen. Well, Fanny, du kannst dich freuen, der Mister Konsul wird dir gleich was erzählen, von wegen neuen Paß. Vielleicht nähst du das andre Ende des Schürzenbandes an. So unangenehm mir die Dame war, ihres aufdringlichen Wesens wegen, ich empfand für sie Sympathie, die Sympathie derer, die in derselben Galeere angeschmiedet sind.
    Der Empfangssekretär sprang gleich auf: »Aber gewiß, M’me, nur einen Augenblick. Bitte!«
    Er nahm einen Stuhl und bat unter Verbeugung die Dame, sie möge Platz nehmen. Er brachte drei Formulare, sprach leise mit der Dame und schrieb in den Formularen. Die dürren Gestalten hatten die Formulare alle selbst ausfüllen müssen, manche vieroder fünfmal, weil sie nicht gut ausgefüllt waren. Aber die Dame konnte offenbar nicht schreiben, und so war es nur ein Zeichen von Hilfsbereitschaft, daß der Sekretär ihr diese kleine Mühe abnahm.
    Als die Formulare ausgefüllt waren, sprang er auf und trug sie durch eine der Türen, hinter denen die Todesurteile unterzeichnet werden.
    Er kam sehr rasch zurück und sagte halblaut und sehr höflich zu der Fetten: »Mr. Grgrgrgs wünscht Sie zu sehen, M’me. Haben Sie drei Photographien zur Hand?«
    Die fette Schwarzhaarige hatte die Photographien zur Hand und gab sie dem hilfsbereiten Sekretär. Dann verschwand sie hinter der Tür, wo die Schicksale der Welt entschieden werden.
    Nur ganz altmodische Leute glauben heute noch daran, daß die Schicksale der Menschen im Himmel entschieden werden. Das ist ein beklagenswerter Irrtum. Die Schicksale der Menschen, die Schicksale von Millionen von Menschen werden von den amerikanischen Konsuln entschieden, die Sorge dafür zu tragen haben, daß der Republik kein Schaden widerfahre. Yes, Sir.
    Die Dame war nicht lange in jenem Zimmer der Geheimnisse. Als sie herauskam, schloß sie ihr Handtäschchen. Sie schloß es mit einem starken energischen Knipsen. Und das Knipsen schrie gellend: »Gott, wir haben’s ja dazu, leben und leben lassen.«
    Der Sekretär stand sofort auf, kam halb hinter seinem Tisch hervor und rückte an jenem Stuhl, auf dem die Dame gesessen hatte. Die Dame setzte sich nur mit einer Kante auf den Stuhl, öffnete ihre Handtasche, kramte eine Weile herum, nahm ein Puderdöschen hervor und ließ die geöffnete Tasche auf dem Tisch liegen, während sie sich puderte. Warum sie sich schon wieder pudern mußte, obgleich sie sich eine Minute vorher gepudert haben mußte, war nicht ganz klar.
    Der Sekretär tastete nun mit seinen Händen auf dem ganzen Tisch herum, um irgendein Blatt Papier zu suchen, das er weit verlegt haben mußte. Endlich hatte er das Blatt gefunden, und da die Dame inzwischen auch wieder aufgepudert war, nahm sie die Tasche an sich, steckte das Puderdöschen hinein und knipste die Tasche abermals so zu, daß die Tasche denselben gellenden Schrei ausstieß wie kurz vorher.
    Die Dürren auf den Bänken hatten den gellenden Schrei nicht gehört. Sie alle schienen Auswanderungslustige zu sein, die die Weltsprache des Knipsens noch nicht verstanden, weil sie nichts zum Knipsen hatten. Deshalb mußten sie ja auch auf den Bänken sitzen. Deshalb wurde ihnen ja auch kein Stuhl angeboten unter Verbeugungen. Deshalb

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