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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. Traven
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habe, wohne ich in den Seemannsheimen und Herbergen.«
    »Also keine feste Wohnung. Mitglied eines eingetragenen Klubs?«
    »Wer, ich? Nein.«
    »Eltern?«
    »Nein. Gestorben.«
    »Verwandte?«
    »Dank dem Himmel, nein. Wenn ich welche hätte, würde ich sie abschwören.«
    »Haben Sie gewählt?«
    »Nein. Nie.«
    »Stehen Sie also auch nicht in den Wähler-Registern.«
    »Sicher nicht. Ich würde auch nicht wählen, wenn ich an Land wäre.«
    Er sieht mich nun eine ganze Weile an, ziemlich dumm und sehr ausdruckslos. Die ganze Zeit hat er gelächelt und, wie sein Kollege in Rotterdam, mit einem Bleistift gespielt. Was würden die Leute nur machen, wenn es keine Bleistifte mehr gäbe? Aber dann gibt es sicher ein Lineal, oder einen Löscher, oder die Telephonstrippe, oder die Brille, oder ein paar Blätter Papier oder Formulare, die man auf- und zufaltet. Eine Amtsstube hat ja so gut vorgesorgt, daß der Insasse sich nie langweilt. Gedanken, mit denen er sich beschäftigen kann, hat er nicht; und wenn er welche bekommt, hört er für gewöhnlich auf, Beamter zu sein, und wird ein umgänglicher Mensch. Könnten die Finger eines Tages nicht mehr mit den Utensilien spielen, die auf der Inventarliste stehen, würden sie vielleicht an den Fundamenten spielen und bohren, und das möchte den Fundamenten nicht bekommen.
    »Also ich kann Ihnen keinen Paß geben.«
    »Warum nicht?«
    »Auf was denn? Auf Ihre bloßen Aussagen hin? Das kann ich nicht. Das darf ich nicht einmal. Ich muß doch Unterlagen vorweisen können. Ich muß doch Rechenschaft ablegen, auf Grund welcher Beweise ich den Paß ausgestellt habe. Wie können Sie denn beweisen, daß Sie Amerikaner sind, daß ich überhaupt verpflichtet bin, mich mit Ihnen hier zu befassen?«
    »Aber das können Sie doch hören?«
    »Woran? An der Sprache?«
    »Natürlich.«
    »Das ist kein Beweis. Nehmen Sie hier den Fall Frankreich. Hier leben Tausende, die Französisch sprechen und keine Franzosen sind. Hier gibt es Russen, Rumänen, Deutsche, die ein besseres und reineres Französisch sprechen als der Franzose selbst. Hier sind Tausende, die hier geboren sind und keine Staatsbürger sind. Anderseits sind drüben Hunderttausende, die kaum Englisch sprechen können und über deren amerikanische Staatsbürgerschaft auch nicht der geringste Zweifel besteht.«
    »Aber ich bin doch im Lande geboren.«
    »Dann freilich können Sie Bürger sein. Aber auch dann müßten Sie erst noch beweisen, ob nicht Ihr Vater für Sie eine andre Staatsbürgerschaft vorbehalten hat, die Sie nicht abgeändert haben, als Sie volljährig wurden.«
    »Meine Urgroßeltern waren schon Amerikaner und deren Eltern auch schon.«
    »Beweisen Sie mir das, und ich bin verpflichtet, Ihnen einen Paß auszustellen, ob ich will oder nicht. Bringen Sie die Urgroßeltern oder nur die Eltern her. Ich will aber viel näher kommen, beweisen Sie mir, daß Sie drüben geboren sind.«
    »Wie soll ich denn das beweisen, wenn die Geburt nicht registriert worden ist.«
    »Das ist sicher nicht meine Schuld.«
    »Vielleicht bestreiten Sie mir gar, daß ich überhaupt geboren bin?«
    »Richtig. Das bestreite ich. Die Tatsache, daß Sie hier vor mir stehen, ist kein Beweis für mich, daß Sie geboren sind. Ich habe es zu glauben. Wie ich zu glauben habe, daß Sie Amerikaner sind, daß Sie Bürger sind.«
    »Also Sie glauben nicht einmal, daß ich geboren bin? Das ist aber doch die Grenze alles möglichen.«
    Der Konsul lächelte sein schönstes Amtslächeln: »Daß Sie geboren sind, muß ich ja wohl glauben; denn ich sehe Sie hier mit meinen Augen. Wenn ich Ihnen nun einen Paß ausstelle und ihn der Regierung daheim damit rechtfertige, daß ich meinen Bericht schreibe: ›Ich habe den Mann gesehen und glaube, daß er Bürger ist!‹, so kann es leicht geschehen, daß ich gesackt werde. Denn was ich glaube, will die Regierung daheim nicht wissen. Sie will nur wissen, was ich bestimmt weiß. Und was ich bestimmt weiß, muß ich immer beweisen können. Ihre Staatsbürgerschaft und Ihre Geburt kann ich nicht beweisen.«
    Man möchte manchmal bedauern, daß wir noch nicht aus Papiermache gemacht sind; denn dann könnte man an dem Stempel sehen, ob man in der Fabrik USA oder in der Fabrik Frankreich oder in der Fabrik Spanien angefertigt worden ist, und den Konsuln wäre die Mühe erspart, ihre wertvolle Zeit mit so törichten Dingen zu vertrödeln.
    Der Konsul hat den Bleistift hingeworfen, ist aufgestanden, geht zur Tür und ruft einen

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