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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. Traven
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der dritte Tag zu Ende.
    Vierter Tag: Vormittags wurde mir Schere, Nadel, eine ganze Nähnadel, Zwirn und ein Fingerhut gegeben. Der Fingerhut paßte nicht. Aber mir wurde gesagt, einen andern hätten sie nicht. Nachmittags wurde mir gezeigt, wie ich die Schere, die Nähnadel und den Fingerhut immer sichtbar auf den Schemel zu legen und den Schemel in die Mitte der Zelle zu stellen habe, wenn ich die Zelle für den Rundgang verlasse. Außen neben der Tür wurde ein Plakat angeschlagen mit der Aufschrift: »Besitzt eine Schere, eine Nähnadel und einen Fingerhut.« Damit war der vierte Tag herum.
    Fünfter Tag: Sonntag.
    Sechster Tag: Vormittags werde ich in die Arbeitshalle geführt. Nachmittags wird mir ein Platz in der Arbeitshalle angewiesen. Der sechste Tag ist ’rum.
    Siebenter Tag: Vormittags wird mir der Gefangene gezeigt, der mich lehren soll, wie Schürzenbänder angenäht werden sollen. Nachmittags sagt mir der Gefangene, ich solle meine Nähnadel schon mal einfädeln. Der siebente Tag ist ’rum.
    Achter Tag: Der Lehrmeister zeigt mir, wie er die Schürzenbänder annäht. Nachmittags ist Baden und Wiegen. Der achte Tag ist ’rum.
    Neunter Tag: Vormittags muß ich zum Direktor kommen. Mir wird mitgeteilt, daß morgen meine Zeit um sei, und ich werde gefragt, ob ich Beschwerden vorzubringen hätte. Dann muß ich meinen Namen ins Fremdenbuch schreiben. Nachmittags wird mir gezeigt, wie ich ein Schürzenband anzunähen habe. Der neunte Tag ist ’rum.
    Zehnter Tag: Vormittags nähe ich ein Schürzenband an. Mein Lehrmeister betrachtet sich das angenähte Band ein und eine halbe Stunde und sagt dann, es sei nicht gut angenäht, er müsse es wieder abtrennen. Nachmittags nähe ich wieder ein Schürzenband an. Als ich das eine Ende gerade angenäht habe, werde ich zur Abfertigung gerufen. Ich werde gewogen, untersucht, bekomme meine Zivilsachen, die ich anziehen darf, und kann dann im Hof Spazierengehen. Der zehnte Tag ist ’rum.
    Am nächsten Morgen um sechs werde ich gefragt, ob ich noch Frühstück haben wolle. Ich sage nein, werde zum Kassenverwalter geführt, wo ich eine Weile warten muß, weil er noch nicht da ist. Dann kriege ich doch Frühstück, und endlich kommt der Kassenverwalter, der mir mein Geld zurückgibt, was ich wieder zu quittieren habe. Dann erhalte ich fünfzehn Centimes für Arbeitsleistung, war entlassen und konnte gehen. Verdient hat der französische Staat nicht viel an mir, und ob die Eisenbahn sich nun einbilden darf, bezahlt zu sein, ist auch noch die Frage.
    Draußen wurde ich aber gleich wieder von der Polizei in Empfang genommen.
    Ich wurde verwarnt. Innerhalb fünfzehn Tagen hätte ich das Land zu verlassen, auf demselben Wege, auf dem ich hereingekommen sei. Würde ich nach Ablauf von fünfzehn Tagen noch innerhalb der Landesgrenzen gefunden, so würde nach Maßgabe der Gesetze mit mir verfahren werden. Also mit mir verfahren werden. Was das bedeutete, war mir nicht klar. Vielleicht hängen oder auf dem Scheiterhaufen schmoren. Warum nicht. In dieser Zeit der vollendeten Demokratie ist ein Paßloser und damit also auch ein Nichtwahlberechtigter ein Ketzer. Jede Zeit hat ihre Ketzer, und jede Zeit hat ihre Inquisition. Heute sind der Paß, das Visum, der Einwanderungsbann die Dogmen, auf die sich die Unfehlbarkeit des Papstes stützt, an die man zu glauben hat, oder man muß die verschiedenen Grade der Folterungen über sich ergehen lassen. Früher waren die Fürsten die Tyrannen, heute ist der Staat der Tyrann. Das Ende der Tyrannen ist immer Entthronung und Revolution, ganz gleich, wer der Tyrann ist. Die Freiheit des Menschen ist zu urwüchsig mit seinem ganzen Dasein und Wollen verknüpft, als daß der Mensch irgendeine Tyrannei lange ertragen könnte, selbst wenn die Tyrannei in dem sammetweichen Lügenmantel des Mitbestimmungsrechtes erscheinen sollte.
    »Sie müssen doch aber irgendein Papier haben, lieber Freund«, sagte der Offizier, der mich verwarnte. »Ohne Papier können Sie gewiß nicht immer herumlaufen.«
    »Ich könnte vielleicht einmal zu meinem Konsul gehen.«
    »Zu Ihrem Konsul?«
    Der Ton war mir bekannt. Es scheint, daß mein Konsul in der ganzen Welt bekannt ist.
    »Was wollen Sie denn bei Ihrem Konsul? Sie haben doch keine Papiere. Der glaubt Ihnen keine Silbe, wenn Sie keine Papiere haben. Er gibt nur auf Papiere etwas. Besser, Sie gehen gar nicht hin, sonst werden wir Sie nie wieder los und haben Sie für das ganze Leben auf dem Halse.«
    Wie sagten

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