Das Totenschiff
Namen hinaus. Ein Sekretär kommt herein, und der Konsul sagt zu ihm: »Sehen Sie mal nach. Wie ist der Name?« Er wendet sich mir zu. »Ach ja, es fällt mir schon wieder ein, Gale, richtig. Ja, sehen Sie also nach, sofort.«
Der Mann läßt die Tür halb offen, und ich sehe, daß er an einem Schranke, wo Tausende von gelben Karten aufgestapelt sind, das G heraussucht und nach meinem Namen forscht. Die Karten der Deportierten, der Unerwünschten, der Pazifisten und der bekannten Anarchisten.
Der Sekretär kommt wieder zurück. Der Konsul, der während der Zeit am Fenster gestanden hat und hinuntergesehen hat, dreht sich um: »Na?«
»Ist nicht drin.«
Das wußte ich vorher. Jetzt kriege ich meinen Paß. So schnell nicht. Der Sekretär ist wieder gegangen und hat die Tür hinter sich zugemacht. Der Konsul sagt nichts, setzt sich wieder an seinen Schreibtisch, sieht mich eine Weile an und weiß nicht mehr, was er fragen soll. Seine Prüfungsaufgaben scheinen nur bis hierher gereicht zu haben. Nun steht er auf und verläßt das Zimmer. Jedenfalls holt er sich Rat aus einem der andern heiligen Räume.
Ich habe nichts weiter zu tun und sehe mir die Bilder an der Wand an. Alles bekannte Gesichter, mein eigner Vater ist mir nicht so vertraut in seinem Gesicht als diese Gesichter. Washington, Franklin, Grant, Lincoln. Männer, denen Bürokratismus so verhaßt war wie einem Hunde die Katzen. »Das Land soll für immer sein das Land der Freiheit, wo der Verfolgte und der Gehetzte Zuflucht findet, sofern er guten Willens ist.«
»Dieses Land soll gehören denen, die es bewohnen.«
Aber freilich, das kann ja nicht so fort gehen bis in alle Ewigkeit. »Das Land soll gehören denen, die es bewohnen.« Das puritanische Gewissen ließ nicht zu, daß kurz und bündig gesagt wurde: »Das Land gehört uns, den Amerikanern.« Denn da waren die Indianer, denen das Land von Gott gegeben war, und Gottes Gesetz hat der Puritaner zu beachten. »Wo der Verfolgte und der Gehetzte Zuflucht findet.« Ganz gut, wenn alle, die da wohnen, Verfolgte und Gehetzte sind aus allen möglichen Ländern. Und die Nachfahren jener Verfolgten und Gehetzten sperren das Land ab, das allen Menschen gegeben wurde. Und um die Absperrung ganz vollkommen zu machen, damit auch nicht eine Maus durchschlüpfen kann, sperren sie die eignen Söhne ab. Denn es könnte ja unter der Verkleidung des eignen Sohnes sich der Sohn eines Nachbars einschleichen.
Der Konsul kommt zurück und setzt sich wieder. Er hat eine neue Frage gefunden.
»Sie können ja vielleicht ein entwichener Sträfling sein oder jemand, der eines schweren Verbrechens wegen gesucht wird. Und ich würde Ihnen einen Paß ausstellen auf den von Ihnen genannten Namen und würde Sie durch den Paß vor der gerechten Verfolgung schützen.«
»Ja, das würden Sie. Ich sehe nun ein, daß mein Kommen ganz und gar zwecklos war.«
»Es tut mir wirklich leid, Ihnen nicht helfen zu können. Meine Machtbefugnisse sind nicht weitreichend genug, um Ihnen den Paß oder irgendein Papier, das Ihnen zur Legitimation dienen könnte, auszustellen. Sie hätten mit Ihrer Seemannskarte vorsichtiger sein müssen. Solche Dinge verliert man nicht in dieser Zeit, wo der Paß notwendiger ist als sonst irgend etwas.«
»Nun möchte ich aber doch gern eins wissen.«
»Ja?«
»Da war hier eine sehr dicke Dame mit vielen Brillantringen, die sie kaum noch schleppen konnte, die hatte ihren Paß doch auch verloren, und Sie haben ihr sofort einen gegeben. Das hat nur eine halbe Stunde gedauert.«
»Aber das war doch die Frau Sally Marcus aus New York, werden Sie doch schon gehört haben den Namen. Das große Bankgeschäft«, sagte er mit einer Geste und einer Betonung, als ob er gesagt hätte: Das war doch der Prince of Wales und nicht ein Seemann, dem das Schiff fortgefahren ist.
Er mußte wohl an meinem Gesichtsausdruck erkennen, daß ich das nicht so schnell fassen konnte, denn er fügte hinzu: »Sie werden den Namen doch schon gehört haben? Das große Bankgeschäft in New York?«
Ich zweifelte noch immer und sagte: »Ich glaube aber kaum, daß die Dame Amerikanerin ist, ich würde viel eher glauben, daß sie in Bukarest geboren ist.«
»Woher wissen Sie das? Die Frau Marcus ist allerdings in Bukarest geboren worden. Aber sie ist amerikanischer Bürger.«
»Hatte sie denn ihren Bürgerbrief bei sich?«
»Natürlich nicht. Warum?«
»Woher haben Sie denn dann gewußt, daß sie Bürger ist? Richtig sprechen hat sie noch
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