Das Totenschiff
Soda oder Bürste, weil solche Dinge nicht vorhanden waren. Wie die Kumpen dann aussahen, wenn wieder das frische Essen hineingeschüttet wurde, braucht nicht erzählt zu werden.
In diesem Dreck konnte ich nicht leben. Ich ging daran, das Quartier zu scheuern. Die Burschen waren nach dem Essen sofort in ihre Bunks gefallen wie tot. Während des Essens war kaum gesprochen worden. Es ging zu, als ob Schweine an einem Trog stehen. Drei Tage später erkannte ich diesen Vergleich nicht mehr. Die Fähigkeit, Vergleiche zu ziehen oder deutliche Erinnerungen aus einem früheren Leben zu erwecken, war erloschen.
»Seife wird nicht geliefert«, wurde mir brummend aus einer Bunk zugerufen. »Schrubber oder Bürsten auch nicht. Und nun halte Ruhe mit deinem Herumwirtschaften, wir wollen schlafen.« Ich sofort mittschiffs und zur Ingenieurskabine, wo ich anklopfte.
»Ich will das Quartier scheuern und verlange Seife und eine kräftige Schrubberbürste.«
»Was denken Sie denn von mir? Sie wollen doch nicht damit sagen, daß ich Ihnen Seife oder Bürsten zu kaufen habe? Nichts zu machen.«
»Ja, aber nun ich selbst. Ich habe keine Seife für mich selbst. Und ich soll doch vor den Kesseln arbeiten.« Das wollte ich doch sehen, ob ich keine Seife bekäme.
»Das ist Ihre eigne Sache, wenn Sie sich waschen wollen, müssen Sie auch Seife haben. Seife gehört zu einer anständigen Seemannsausrüstung.«
»Kann sein, mir ist das neu. Toilettenseife ja, aber nicht Arbeitsseife, und für Kesselbande hat der Ingenieur die Seife zu stellen oder der Skipper oder die Kompanie. Das ist mir gleichgültig, wer die Seife zu stellen hat. Ich will aber Seife haben. Was ist das überhaupt für eine Sauerei? Auf jedem anständigen Eimer wird alles gestellt, Matratze, Kissen, Bettuch, Decke, Handtuch, Arbeitsseife und vor allem Eßgeschirr. Das gehört zur Ausrüstung des Schiffes und nicht zur Ausrüstung des Mannes.«
»Nicht bei uns. Wenn es Ihnen hier nicht gefällt, können Sie ja gehen.«
»Sie unverschämter Patron, Sie.«
»’raus aus meiner Kabine oder ich rapportiere zum Skipper und lass’ Sie festlegen.«
»Das wäre mir ganz recht.«
»Nicht wie Sie denken, Mann. So besoffen sind wir nicht. Ich brauche den Kohlenschlepper. Nein, ich lasse Sie festlegen mit einer vollen Monatsheuer, wenn Sie mir noch mal so kommen.«
»Feine Leute, das muß ich sagen. Auch noch die paar Groschen abtricken.«
Der Gauner saß da und grinste. Bei Klopperei kommt nie etwas heraus, und er trickt mir zwei Monatsheuern ab. »Erzählen Sie doch das alles Ihrer Urgroßmutter«, sagte er. »Sie wird sich das ruhig mit anhören. Aber ich nicht. ’raus jetzt, aber flott. Vorwärts ins Bett, um elf haben Sie auf Wache zu gehen.«
»Meine Wache fängt um zwölf an. Zwölf bis vier.«
»Nicht bei uns und nicht mit den Kohlschleppern. Die Kohlschlepper fangen um elf an und ziehen von elf bis zwölf Asche, und um zwölf fängt die Arbeitswache an.«
»So. Von elf bis zwölf ist wohl keine Arbeitswache?«
»Asche ziehen, das haben die Kohlschlepper bei uns nebenbei zu machen.«
»Aber Überstunden werden angeschrieben.«
»Nicht bei uns. Und nicht für Ascheheben.«
In welchem Jahrhundert lebte ich denn? Unter welche Menschenrasse war ich geraten? Halb im Dusel torkelte ich zum Quartier.
Da war das Meer, das blaue herrliche Meer, das ich so sehr liebte und in dem als anständiger Seemann zu versinken ich nie mit Grauen angesehen hatte. War es doch die große festliche Vermählung mit dem Weibe, das so launenhaft war, das so wütend rasen konnte, so viel herrliches Temperament hatte, das so berückend lächeln, so bezaubernde Schlaflieder singen konnte und so wunderschön, ach, so über alle Maßen schön war.
Es war dasselbe Meer, auf dem Tausende und Tausende ehrlicher, gesunder Schiffe fuhren. Und nun hatte mich das Schicksal ausersehen, mich ein Schiff fahren zu lassen, das an Lepra erkrankt war und das nur noch fuhr mit der Hoffnung, daß das Meer Erbarmen mit ihm haben möge. Aber es sah ganz so aus, ich hatte es im Gefühl, daß die See das mit Lepra behaftete Schiff nicht aufnehmen wollte, um sich nicht verpesten zu lassen. Noch nicht. Seine Zeit war noch nicht gekommen. Noch wartete das Meer, noch hoffte es, daß es diese Pest nicht zu erdulden haben werde, das dieses Meeresgeschwür irgendwo auf dem Lande oder in einem verschmierten Winkelhafen zerplatzen und vergehen würde. Noch war »Yorikkes« Zeit nicht gekommen. Ich hatte noch kein
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