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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. Traven
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nicht deine Wache auch noch machen. Ich mache auch über die Reling. Gleich hinterher. Nein. Mache ich nicht. Dann schon lieber Pflaumenmus unter den Kessel. Dann geht alles mit, und die können keinen mehr fangen. Das ist eigentlich ein Spaß. Das mit Pflaumenmus.«
    Der arme Stanislaw war noch ganz im Dusel. Dachte ich.
     

32.
     
    Um sechs Uhr morgens war meine Wache zu Ende. Ich hatte dem Stanislaw keinen Kohlenvorrat hinterlassen können. Ich konnte die Schaufel nicht mehr halten. Ich brauchte keine Matratze, keine Decke, kein Kissen, keine Seife. Ich fiel in meine Bunk, dreckig, ölig, fettig verschwitzt wie ich war. Meine Hosen waren für dauernd verdorben, auch mein Hemd und meine Stiefel. Dick verschmiert mit Öl, Kohlenstaub und Petroleum. Löcher ’reingebrannt, versengt, zerrissen. Wenn ich nun an der Reling der »Yorikke« stand im nächsten Hafen, in Reih und Glied der übrigen Taschendiebe, Einbrecher und entlaufenen Sträflinge, dann war ich nicht mehr zu unterscheiden. Ich hatte nun auch meine Sträflingskleidung, in der ich nicht mehr aussteigen konnte, ohne sofort gefaßt und zurückgeliefert zu werden. Ich war jetzt ein Teil der »Yorikke« geworden, mußte mit ihr gehen auf Tod und Verderben. Es gab kein Entrinnen mehr.
    Jemand riß mich auf und schrie mir ins Ohr: »Frühstück ist da.« Es kann kein Frühstück auf der Welt bereitet werden, das imstande gewesen wäre, mich aus der Bunk zu bringen. Was war mir Frühstück, was war mir Essen? Ein schwarzes, dickes, dunstiges, schwerwuchtendes Etwas. Manch einer sagt: »Ich bin so müde, daß ich keinen Finger mehr rühren könnte.« Der das sagen kann, weiß nicht, was Müdesein bedeutet. Fingerrühren? Nicht einmal die Augendeckel schlossen ganz, vor Müdigkeit. Meine Augen waren halb geöffnet, und ich empfand das trübe Tageslicht wie einen lastenden Schmerz, aber ich konnte und konnte die Augenlider nicht schließen. Sie schlossen nicht selbsttätig, und sie schlossen nicht auf meinen Willen. Denn den Willen konnte ich nicht aufbringen. Ich hatte nicht den Wunsch, sondern nur ein lastendes Unbehagen: »Möchte doch das Tageslicht weggehen.«
    Und als ich nicht dachte, sondern widerstandslos empfand:
    »Was kümmert dich das Tageslicht?«, da riß mich der schwere eiserne Haken eines Ladekrans hoch, dem Kranführer flitschte der Hebel aus der Hand, ich sauste aus dreißig Meter Höhe hinunter, klatschte flach auf den Ladekai, und ein dicker Schwarm von Leuten stürmte auf mich los und schrie: »’raus, zwanzig vor elf, Asche hieven.«
    Nachdem die Asche gehievt war, holte ich das Mittagessen aus der Galley, hatte mit meinen Kumpen die Leiter mittschiffs ’raufzugehen und die Leiter zum Vordeck wieder ’runterzuklimmen. Ich aß ein paar Pflaumen, die »Der Pudding« hießen und die in einem blauen Stärkeschleim steckten. Etwas andres und mehr zu essen war ich zu müde. Ich wusch mich nicht, sondern trat so meine Wache an. Als ich um sechs abends wieder abgelöst wurde, war ich zu müde, um mich zu waschen. Das Abendessen war kalt und steif. Das rührte mich nicht. Ich schlug in meine Bunk.
    Das ging drei Tage und drei Nächte. Ich hatte keinen andern Gedanken als nur: elf bis sechs, elf bis sechs, elf bis sechs, elf bis sechs. In diesem Begriff sammelte sich für mich der Weltbegriff und das Persönlichkeitsbewußtsein. Ich war ausgelöscht. An Stelle des Ichs stand nichts andres als elf bis sechs. Zwei unsagbar wehe Schreie schnitten sich mir mit Grausamkeit in das, was Hirn, Fleisch, Seele, Herz gewesen war. Sie bereiteten einen Schmerz, der gellend scharf war. Mag sein, daß man einen ähnlichen kreischenden Schmerz empfindet, wenn einem das nackte Gehirn mit einer Stahlfeder gekitzelt wird. Die Schreie kamen immer von weit her, waren immer dieselben, immer gleich grausam und schmerzhaft: »’raus, zwanzig vor elf!« – – »Heilige genotzüchti – Roste durchgefallen!«
    Als vier Tage und fünf Nächte um waren, bekam ich Hunger, aß und begann, mich daran zu gewöhnen.
    »So schlimm ist das eigentlich gar nicht, Stanislaw«, sagte ich, als ich ihn ablösen kam. »Die Frikandellen schmecken ganz gut. Wenn man nur etwas mehr Milch bekäme. Na, der Vorrat, den du mir hinterläßt, ist auch nicht gerade berühmt. Das stochern wir in einen hohlen Zahn vom Feuer eins. Wie kann man denn beim Ersten einen Rum ’rausschinden?«
    »Spielend, Pippip. Siehst ja klapprig genug aus. Glaubt er dir. Gehst jetzt gleich ’rauf und sagst, hast

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