Das Totenschiff
kommt ins Gleichgewicht und beschließt die zweihundert Würfe am Backbordschacht abzuwerfen. Eine Schaufel hat man gerade unten, da legt sich »Yorikke« zur Abwechslung nach Steuerbord über, und das Gemengsel, mit dem Schlepp in der Mitte, rasselt nach Steuerbord, wo es ursprünglich herkam. Jetzt aber überlistet man die gute »Yorikke«. Man überlegt nicht lange, prasselt gleich zehn, fünfzehn Schaufeln ’runter in den Steuerbordschacht, dann rennt man noch rechtzeitig ’rüber nach Backbord, und wenn die Lawine dort nachkommt, gleich wieder fünfzehn Würfe den Backbordschacht ’runter, und wie der Satan ’rüber nach Steuerbord, schon ist die Lawine hinterher, fünfzehn Würfe hier in den Schacht, und so kriegt man seine Kohle vor die Kessel, wenn sie in den Oberbunkern lagern.
Ein Kohlschlepp muß ebensoviel von Navigation verstehen wie der Skipper, sonst würde er zu manchen Zeiten nicht ein Kilo Kohle vor die Kessel kriegen. Natürlich ist der Schlepp am ganzen Körper braun und blau, die Nase zerschunden, die Schienbeine aufgeschlagen, die Hände und Arme abgeschunden. Lustig ist das Seemannsleben, hoiho!
Und lustiger noch ist es, daß Hunderte von »Yorikken«, Hunderte von Totenschiffen auf den sieben Meeren fahren. Alle Nationen haben ihre Totenschiffe. Die stolzesten Kompanien, die die schönsten Flaggen protzig wehen lassen, schämen sich nicht, Totenschiffe zu fahren. Wozu zahlt man denn Versicherungsprämien. Nicht zum Vergnügen. Alles muß seinen Profit abwerfen.
Es fahren viele Totenschiffe auf den sieben Meeren, weil es viele Tote gibt. Nie gab es so viel Tote, als seit der große Krieg für die Freiheit gewonnen wurde. Für jene Freiheit, die Pässe und Nationalitätsnachweise der Menschheit aufzwang, um ihr die Allmacht des Staates zu offenbaren. Das Zeitalter der Tyrannen, das Zeitalter der Despoten, der absoluten Herrscher, der Könige, Kaiser und deren Lakaien und Mätressen ist besiegt worden, und der Sieger ist das Zeitalter eines größeren Tyrannen, das Zeitalter der Landesflagge, das Zeitalter des Staates und seiner Lakaien.
Erhebe die Freiheit zu einem religiösen Symbol, und sie wird leicht die blutigsten Religionskriege entfesseln. Wahre Freiheit ist relativ. Keine Religion ist relativ. Am wenigsten relativ ist die Profitgier. Sie ist die älteste Religion, hat die besten Pfaffen und die schönsten Kirchen. Yes, Sir.
33.
Wird man so zuschanden gearbeitet, daß man nicht einmal mehr »pip« sagen kann, so kümmert man sich um nichts, was um einen herum vor sich geht. Laß geschehen, was da will, nur in die Bunk und geschlafen. Man kann so müde gearbeitet werden, daß man aufhört, an Widerstand zu denken, daß man aufhört, an Flucht zu denken, daß man aufhört, an Müdigkeit zu denken. Man wird Maschine, man wird Automat. Um einen herum darf nun geraubt oder gemordet werden, man sieht nicht hin, man hört nicht hin, nur schlafen, schlafen, nichts weiter.
Dösig stand ich an der Reling und schlief im Stehen. Eine gute Anzahl von Feluken mit ihren merkwürdigen spitzen Segeln waren in der Nähe. Aber das fiel nicht auf. Die waren immer herum. Fischer und Schmuggler, und was sie sonst für Geschäfte haben mochten, Geschäfte, an die man zu denken nicht wagen würde.
Ich ruckte zusammen und wurde völlig wach. Ich konnte nicht begreifen, was es war, das mich so aufriß. Es schien ein mächtiges Getöse zu sein. Aber als ich mich auf das Getöse eingestellt hatte, kam mir zum Bewußtsein, daß es kein Getöse war, das mich so überwach gemacht hatte, sondern daß es eine schwere Ruhe war. Die Maschine hatte aufgehört zu arbeiten, und das verursacht merkwürdige Gefühle. Tag und Nacht hört man das Stampfen und Dröhnen der Maschine, es dröhnt im Kesselraum wie ein rollendes Donnern, in den Bunkern wie ein dumpfes schweres Hämmern, im Quartier wie ein drehendes, ratterndes Keuchen und Pumpen. Es kriecht einem in Fleisch und Hirn. Man hat es in allen Fibern seines Körpers. Der ganze Körper wird ein holpriges Stampfen. Der ganze Mensch fällt in den Rhythmus der Maschine ein. Er spricht, er speist, er liest, er arbeitet, er hört, er sieht, er schläft, er wacht, er denkt, er fühlt und lebt in diesem Rhythmus. Und plötzlich hört das Stampfen der Maschine auf. Man empfindet einen eigentümlichen Schmerz. Man wird leer in sich, als ob man in rasender Geschwindigkeit in einem Aufzuge hinuntersause. Die Erde versinkt einem unter den Füßen, und man empfindet, daß
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