Das Totenschiff
der Boden des Schiffes herausgefallen ist und daß man auf den Boden des Meeres sinkt.
»Yorikke« stand und wogte leicht auf dem glatten ruhigen Meer. Die Ketten rasselten, und der Anker fiel.
Stanislaw kam in dem Augenblick vorbei mit der Kaffeekanne.
»Pippip«, rief er mich an und sagte halblaut, »jetzt haben wir unten aber zu hopsen, ei verflucht noch mal. Müssen den Dampf hochpfeifen auf hundertfünfundneunzig.«
»Du bist wohl verrückt, Stanislawski«, sagte ich, »da fliegen wir ja gleich ohne Aufenthalt durch bis auf den Sirius. Bei hundertsiebzig klappern uns ja schon die Eingeweide.«
»Deshalb drücke ich mich ja hier oben ’rum, so viel ich kann«, griente Stanislaw, »da rennt man mit dem Schädel nicht erst lange gegen die Platte. Man geht dann gleich wie ein Gummiball ab, und ehe die Brocken nachkommen, schwimmt man schon. Als ich die Feluken so verdächtig in der Nähe sah, habe ich wie ein Wahnsinniger Vorrat gemacht, um nur recht viel Gelegenheit zu haben, ’raufzukommen. Dem Heizer habe ich gesagt, ich habe Durchfall. Das nächste Mal mußt du dir was andres aussuchen, man kann nicht immer den gleichen Hanfsamen erzählen, sonst will er selber ’raufgehen und schmeckt die Pomeranzen.«
»Was ist denn los?«
»Na, du bist mir ein Schaf. Es wird geblendet. Skipper zieht die Prozente ein für die Versicherung. So einen Esel, wie du bist, habe ich in meinem Leben nicht gesehen. Was denkst du denn, wo du drauf bist?«
»Leichenwagen.«
»Das hast du ja wenigstens schon klar. Aber die rennen doch so einen Eimer nicht ’runter ohne Musik. Das bilde dir nur ja nicht ein. Die ›Yorikke‹ ist geliefert. Der Totenschein liegt schon bei der Kompanie, die brauchen bloß noch das Datum ’reinschreiben. Na, und siehst du, Mensch, wenn man schon auf der letzten Violinsaite spielt, dann ist doch alles Kick und Kaktus. Die ›Yorikke‹ kann alles machen, was sie will, sie ist verzweifelt, sie steht auf der Totenliste. Die kann alles riskieren, verstehst du? Guck mal da ’rauf, auf den Laternenkorb. Da hängt der Boss’n mit der Prismatüte und guckt ’raus, ob die Luft dicht ist. Dann kannst du aber mal die ›Yorikke‹ loskartoffeln sehen, Mensch, die olle ausgeleierte Schachtel macht dir in der ersten Viertelstunde einen Satz, daß dir himmelangst wird, bei dem Dampfdruck. Entweder ruff in den Mond oder ’raus mit fünfunddreißig Meilen. Da sollst du mal die ›Yorikke‹ sehen. Nach einer halben Stunde pfeift und keucht sie aus allen Knopplöchern und hat für vier Wochen Asthma. Aber sie ist ’raus. Und das ist die Hauptsache. Jetzt muß ich aber ’runter. Ich komme gleich wieder, wenn ich ein paar geschippt habe. Dann muß ich wieder abknöppen gehen.«
Wir fuhren gewöhnlich hundertfünfzig, auch hundertfünfundfünfzig Druck, wenn die »Yorikke« gegen schweres Wetter zu kämpfen hatte. Hundertsechzig war ihre »Achtung!«, hundertfünfundsechzig »Warnung!«, hundertsiebzig »Gefahr!«. Hier blies sie ab mit markdurchdringendem Geheule. Um ihr das Heulen auszutreiben, waren jetzt die Tränendrüsen zugeschraubt. Wenn sie Lust hatte, konnte sie nach innen in sich hineinweinen, ihr grausames Schicksal beweinen und mit Trauer zurückdenken an jene Zeit, wo auch sie ein ehrliches rotbäckiges Jungferlein war. Sie hatte alle Stadien eines abenteuerlichen Weibes durchgemacht in ihrem langen, reichen Leben. Sie war auf glänzenden Bällen gewesen, wo sie die Königin des Festes war und umworben wurde von den schönsten Herren. Sie hatte sich mehrfach verheiratet, war ihren Männern durchgebrannt, war in üblen Hotels gefunden worden, war dreißigmal geschieden worden, hatte von neuem Glück gehabt und war in die Gesellschaft wieder aufgenommen worden, hatte wieder Dummheiten gemacht, sich eine Zeitlang dem Suff ergeben und schottischen Whisky nach Norwegen und nach den Krabbenlöchern an der Küste des States Maine geschmuggelt, und nun war sie endlich Kuppelmutter, Testamentsschleicherin, Giftmischerin und Engelmacherin geworden. So tief kann eine Frau sinken, die aus bester Familie kam und, versehen mit ausgezeichneter Erziehung und mit seidenen Röckchen und Fähnchen, ins Leben zog. Aber das Unglück vieler schöner Frauen ist, daß sie nicht zur rechten Zeit zu sterben verstehen…
Die Ladeluken wurden geöffnet, und es wurde in den Eingeweiden der »Yorikke« emsig herumgewühlt.
Die Feluken waren nahe gekommen, und zwei machten längsseit fest. Sie waren von marokkanischen
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