Das Totenschiff
Skipper Verbeugungen machen.«
»Hat denn keiner für die gewinkten Franken gepfiffen?«
»Bei uns? Auf der ›Yorikke‹? Wir sind alle Dreck und haben nichts mehr zu melden. Wir sind tot. Du auch. Na, und sieh mal, jemand anders ins Portemonnaie oder in den Glasschrank gucken oder Kisten aufmachen in einem Schuppen oder auf der ›Yorikke‹, dem Zweiten und dem Ersten noch dazu den Hammer an den Schädel feuern, das ist alles Ehrensache. Behältst du immer den Kopf hoch, behältst du immer deinen Murr, deinen Stolz. Aber pfeifen bei der Polizei oder der auch nur mit einem Fingernagel helfen, das ist schäbig. Da kannst du dir nicht mehr in die Augen gucken. Wenn die was wollen, laß sie doch machen. Aber du bist doch ein anständiger Kerl, da putzt man den Burschen nicht die Brillengläser. Ich will lieber auf der ›Yorikke‹ und mit der ›Yorikke‹ verrecken, als mit einem Polizisten tauschen.«
Wir lagen auf der Reede an der portugiesischen Küste um Deckungsgut einzunehmen und die »Yorikke« zu klären. Die »Yorikke« war plötzlich in Verdacht gekommen. Deshalb nahm der Skipper nur echtes Gut ein und ließ sehr saubere Deklarierungen gegen die »Yorikke« laufen, an denen auch nicht ein Pünktchen zu deuteln war. Es war sehr billiges Gut, denn hohes vertraute der »Yorikke« niemand an. Wer sie kannte, nicht. Aber da gibt es ja so unendlich viel Gut, das an sich keinen besonderen Wert darstellt, aber doch gefahren werden muß und doch wieder zu gut ist, um nur als Ballast zu gehen. Den Wert bekommt dieses Gut erst, wenn es abgeliefert ist.
Nach fünf Uhr des Nachmittags hatten wir nichts mehr zu tun, und die Arbeit begann erst wieder am nächsten Morgen um sieben. Das war die Arbeitszeit, wenn wir auf Reede oder am Kai in einem Hafen lagen. Die Arbeit in diesen Fällen war meist unangenehm, aber doch nicht gar so schwer wie auf der Fahrt.
Hier war es dann, daß wir schon manchmal einige Stunden beieinandersitzen konnten, um in Ruhe zu schwätzen. Ein Schiff ist immer groß genug, daß man irgendwo sitzen kann, ohne daß man sich mit den Ellbogen stößt.
So viele Leute auf der »Yorikke« waren, so viele Nationen waren auch vertreten. Jede Nation hat ihre Toten, die leben und atmen, aber gegenüber der Nation doch tot für ewig sind. Manche Staaten haben ganz offen ihre Totenschiffe. Diese Totenschiffe nennt man dann Fremdenlegion. Wer sie überlebt, kann vielleicht ein neues Leben damit erkauft haben. Er hat einen neuen Namen erworben, der ihm bestätigt wird, und er hat einen neuen Platz in einer Nation gefunden, als wäre er als Säugling eben hineingeboren.
Alle Kommandos auf der »Yorikke« wurden in Englisch gegeben, und alle Unterhaltung wurde in englischer Sprache gepflogen weil sonst eine Verständigung nicht denkbar gewesen wäre. Es war ein höchst merkwürdiges Englisch. Nur der Skipper sprach ein reines, fehlerfreies Englisch. Alle übrigen dagegen sprachen etwas, das mit Englisch nichts zu tun hatte. Es war Yorikkisch. Eine eigne Sprache.
Wie die Sprache klang und aussah, läßt sich nur schwer schildern. Jeder Seemann weiß zwei Dutzend englische Worte. Und jeder weiß drei bis sechs Worte, die der andre nicht weiß, aber von ihm lernt durch das Zusammenleben an Bord, wenn nur Englisch gesprochen wird. Dadurch eignet sich jeder in kurzer Zeit etwa zweihundert Worte an. Zweihundert Worte der englischen Sprache auf diese Weise, aber nur auf diese Weise gelernt und dazu die Zahlen, die Namen der Tage und Monate in Englisch, ermöglichen jedem Menschen, alles das klar und zweifelsfrei auszudrücken, was er innerhalb dieses Kreises sagen will. Ganze Romane kann er mit diesem Sprachschatz erzählen. Er kann natürlich kein englisches Buch lesen und noch viel weniger eine englische Zeitung. Keine andre europäische Sprache kann diesen Vorteil ihren Schülern bieten, sich so leicht und so rasch im Leben verwenden zu lassen.
Ehe ich aber das Yorikkisch verstand und mich in Yorikkisch ausdrücken konnte, vergingen mehrere Tage. Hätte ich Worte und Wortverbindungen so gebraucht, wie ich sie seit meinen ersten nassen Windeln gehört und geplappert hatte, würde mich niemand auf der »Yorikke«, der Skipper ausgenommen, verstanden haben, und man würde mir kaum geglaubt haben, daß ich Englisch spräche.
Wie war das Yorikkische Englisch entstanden, und wie war das Englisch auf andern Totenschiffen entstanden?
Das Sprachgewirr unter den Angehörigen der verschiedenen Nationen, die auf der
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