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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
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Riss in der Decke zu betrachten, der sich diagonal durch das Zimmer zieht.
    »Wie gesagt. Ich komme zurecht. Und ich bin Mia auch nicht mehr so böse.«
    Wieder mustert er mich mit diesem Blick. In dem Trauer und Verachtung zugleich liegen.
    »Ich habe ein wenig gelesen. Mich sozusagen kundig gemacht.«
    »Ach?«
    Er rutscht hin und her, und abermals klirren die Ketten an seiner Lederjacke dumpf. Ein unheilverkündendes Geräusch, wie aus einem alten verstaubten Horrorfilm.
    »Liebe ist doch nur eine Menge Hormone und Signalstoffe und so ein Scheiß. Es gibt verschiedene Phasen. Zuerst kommt die Lust, die sexuelle Anziehung. Dann werden Testosteron und Östrogen und so abgesondert. Diese Phase hält maximal einige Monate vor. Dann kommt die Verliebtheit. Dann wird eine Menge Serotonin, Dopamin, und wie das alles heißt, ausgesondert. Das hat denselben Effekt auf das Gehirn wie das Amphetamin. Verstehen Sie? Wir sind alle insgeheim Junkies, wenn wir verliebt sind, bis die Wirkung aufhört. Denn bei allen hört die Wirkung auf. So ist das. Verliebtheit dauert bis zu drei Jahren. Aber das ist gut. Finden Sie nicht?«
    »Und dann? Viele bleiben doch viel länger zusammen als diese drei Jahre. Das passiert immer wieder.«
    »Dann kommt eine andere Phase. Und was die Beziehung dann zusammenhält, sind Kinder, Ehe, gemeinsame Projekte und Interessen. Und andere Hormone. Wie Oxytocin und …«
    »Moment mal, Patrik, ich weiß ja nicht, was Sie gelesen haben, aber was Sie da schildern, nennen wir das biologische Modell. Es ist sicher absolut korrekt, aber ich glaube nicht, dass biologische Modelle allein als Erklärung für menschliches Verhalten ausreichen. Vor allem sagen sie sehr wenig darüber, wie es ist, ein Mensch zu sein. Was das für ein Gefühl ist.«
    »Ich finde, es trifft sehr gut zu«, murmelt er.
    »Natürlich finden Sie das, in Ihrer Situation.«
    »Und das bedeutet?«
    »Aber, Patrik«, ich lege eine Pause ein, versuche, eine gute Formulierung zu finden, eine, die erklärt, ohne zu kränken oder herabzusetzen, »Sie sind soeben verlassen worden. Sie sind enttäuscht, erniedrigt und desillusioniert. Natürlich kommt Ihnen eine Theorie, die uns alle als von Trieben gelenkte Tiere beschreibt, wie gerufen.«
    »Sie meinen also, es stimmt nicht?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Ich meine nur, dass es nicht die ganze Wahrheit ist. Ich glaube, man kann Liebe auf viele Weisen erklären. Die rein biologische ist nur eine der Beschreibungen, in die man dieses … Phänomen hüllen kann. Man kann Liebe aus einer kulturellen, sozialen oder kognitiven Perspektive ansehen. Oder von mir aus auch einer theologischen. Auch wenn ich mich da nicht so gut auskenne. Aber wenn Sie zum Beispiel mit einem Pastor reden, würden Sie sicher ein anderes Bild erhalten. Oder?«
    »Ich kenne gar keinen Pastor.«
    »Ich auch nicht.« Ich lache. »Aber darum geht es doch nicht.«
    »Was glauben Sie also selbst?«
    Plötzlich merke ich, wie meine Wangen heiß werden. Was weiß ich eigentlich über Liebe? Was hält mich und Markus zusammen? Meine Einsamkeit und Angst? Seine Ausdauer und seine Geduld mit meinen Zicken? Das Kind, das in mir wächst? Oxytocin, Serotonin und Testosteron?
    »Es gab mal einen Philosophen namens Kierkegaard«, fange ich an.
    »Ich weiß verdammt gut, wer Kierkegaard war.« Patriks Stimme klingt heiser und scharf. Meine Wangen brennen, und ich komme mir plötzlich vor wie eine Betrügerin, wie eine, die sich nur als Therapeutin ausgibt, die das Zimmer mit dem kleinen Tisch und den Lammfellsesseln nur geliehen hat. Die Kleenex und Notizblock geklaut hat, damit das Ganze glaubwürdig wirkt.
    »Kierkegaard hat gesagt …« Ich lege zum Kühlen die Handflächen an meine Wangen, aber die sind zu heiß und feucht, alles, was passiert, ist, dass ich Patrik meine Unsicherheit signalisiere. »Er hat von einem Sprung gesprochen oder einem ›Glaubenssatz‹, den Menschen machen, wenn sie sich verlieben oder wenn sie an Gott glauben. Das ist nichts ganz Logisches. Es geht darum, Mut zum Glauben zu haben und loszulassen, man kann das nicht mit rationalen Argumenten erklären. Und andererseits gibt es auch immer Zweifel, wenn wir glauben, dafür sorgt unser rationaler Teil. Also, kein Glaube ohne Zweifel. Und keine Liebe, ohne dass wir das Wagnis eingehen müssen, loszulassen und diesen Sprung zu machen. Auch wenn wir von unserer Vernunft her wissen, dass uns das wehtun kann.«
    Er schaut mich mit düsterem Blick an. Sinkt tiefer

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