Das Trauma
Parfüm, das nach Karamellbonbons riecht, und Schweiß und Zigarettenrauch. Aber sowie sie versucht, festzustellen, woher der Duft kommt, ist er verschwunden, und nur der leichte Gestank von Schimmel und Pisse ist noch da.
Dann hört sie wieder irgendwo unter sich Schritte auf der Treppe. Sie kriecht in der Ecke in sich zusammen, denn obwohl sie Angst vor der Dunkelheit hat, hat sie noch viel mehr Angst vor dem Mann da draußen. Plötzlich fühlt sie sich sicher in der kleinen finsteren Kammer, und sie denkt, dass die Tür sich nie wieder öffnen soll, sie will hier in der Pfütze aus Pisse und Saft sitzen und Mamas Duft in den Nasenlöchern spüren.
Dann wird die Tür geöffnet, und weißes scharfes Licht schneidet ihr in die Augen wie tausend Messer.
Sie presst das Gesicht auf ihren freien Arm. Macht sich so klein, wie sie kann, wie ein Ball in der Kammerecke.
»Komm, wir gehen«, sagt die Stimme über ihr, aber sie rührt sich nicht, liegt nur still da, in sich zusammengekrochen, den einen Arm am Seil über ihrem Kopf hängend.
»Hast du nicht gehört? Komm jetzt raus.«
Die Stimme klingt böse. Böse und energisch. Wie eine wütende Tante, die gerade entdeckt hat, dass ein Kind in der Kita unartig war. Sie wagt noch immer nicht, sich zu rühren. Presst die Augen fest zusammen und denkt an Mama. An ihre glatte Wange mit den Grübchen, an die munteren Augen. An den Bauch, der so weich ist, dass sie die Hand dort verstecken kann, in der Haut zwischen den Falten.
»Also, du blödes Scheißkind! Hast du nicht gehört?«
Eine harte Hand in ihrer Achselhöhle reißt sie auf die Füße, zwingt sie dem Weißen entgegen. Sie wehrt sich. Dreht sich wie ein Äffchen an dem Seil, immer wieder im Kreis, bis sie müde ist und ihr schlecht wird.
»Mama«, schreit sie. » Mammmmmmmmaaaaa!«
»Halt die Fresse!«
Der Schlag brennt auf ihrer Wange, und Hitze breitet sich in ihrem Gesicht aus. Tränen mischen sich mit Rotz und bilden salzige schleimige Flüsse, die ihr in den Mund fließen.
»Ich will zu meiner Mama.«
Plötzlich hört sie das kleine Trödeldö. Auch er scheint es gehört zu haben, denn er lässt sie los und zieht das Telefon aus der Tasche.
»Ja?«
Sie hört, wie er schnell und leise redet. Er beugt sich über das Mobiltelefon, wie um es zu wiegen, als redete er hier mit einem winzig kleinen Kind. Dann dreht er sich um, stößt sie wieder in die Dunkelheit. Knallt die Tür zu.
»Ich komme wieder«, hört sie ihn draußen sagen.
Langsam sinkt sie in die Hocke, setzt sich auf den Zeitungsstapel, wischt sich mit der freien Hand die schleimigen Tränen von der Wange. Nimmt wieder den Duft wahr: Parfüm, Schweiß, Rauch.
Und sie weiß, dass sie da ist, dass sie über ihr wacht und sie vor den Ungeheuern in der Kammer und vor dem da draußen beschützt.
Värmdö, November
Mein Frühstück ist so trist wie der Herbstmorgen vor meinem Fenster. Ein Stück altes feuchtes Knäckebrot hängt schlaff in meiner Hand. Dazu gibt es eine Tasse Tee.
Markus kommt zum Haus herein, zum soundsovielten Mal. Er trägt einen Armvoll Holz, stapelt ihn sorgfältig auf den ohnehin schon riesigen Haufen beim Kamin.
»Richtest du dich auf den dritten Weltkrieg ein, oder was?«
Markus lacht nicht, und ich spüre seine Gereiztheit quer durch das Zimmer. Ahne sie wie ein heraufziehendes Gewitter.
»Es soll heute Abend Sturm geben. Aber du kümmerst dich wohl nicht um so einen profanen Kram, was? Wenn du was zu sagen hättest, wäre dein Kühlschrank leer und das Holz läge noch im Schuppen.«
Ich zucke mit den Schultern, sehe die schwarze Glasscheibe an. Wie blankpolierter Granit, denke ich. So undurchdringlich ist die Dunkelheit vor dem Haus.
»Du bist ja vielleicht sauer«, sage ich dann.
Er gibt keine Antwort, stapelt nur schweigend die Holzscheite auf.
»Schneesturm«, sagt er dann. »Es soll einen Schneesturm geben. Ich finde nicht, dass du heute mit dem Wagen zur Arbeit fahren solltest.«
»Ich nehme wie immer den Bus, ich fahre doch sonst auch nicht mit dem Auto! Und überhaupt, wieso interessiert dich das eigentlich?«
Wieder schweigt er. Dann erwidert er meinen Blick, und ich ahne den Schmerz darin.
»Ich mache mir Sorgen um dich, warum kannst du das nicht verstehen?«
Etwas in mir wird weich, und langsam breitet sich eine Wärme aus. Ich stehe auf, zupfe ein wenig an dem langen T-Shirt, das über meinem Bauch spannt, gehe zu Markus und lege die Arme um ihn. Spüre die Kälte seiner Jacke, ahne den Duft von
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