Das Trauma
in seinen Sessel. Zwirbelt seine strohblonden Haare zwischen den Fingern und kneift den Mund zu einem dünnen, blutlosen Strich zusammen.
»Glauben Sie diesen Scheiß eigentlich selbst?«
Sein Kommentar verschlägt mir die Sprache, zum ersten Mal bei diesem Gespräch. Denn er hat ja nicht Unrecht. Wenn ich das selbst glaubte, würde ich es ja wohl wagen?
Zu springen. Loszulassen.
Er zieht die Tabaksdose aus der Hosentasche, ohne mich aus den Augen zu lassen, schiebt sich mit geübter Handbewegung einen Priem unter die Oberlippe und flüstert:
»Na, das hab ich mir doch gedacht.«
Langsam gewinne ich die Fassung zurück.
»Ich meine doch nur …«
»Ich weiß, was Sie meinen, aber ich kann nicht daran glauben. Ich glaube, dass alles so banal und beschissen ist, wie es aussieht. Dass es das Gefühl von Liebe gibt, damit wir uns mit einem … passenden Individuum vermehren können. Dass das, was die Menschen zusammenhält, praktischer Kram ist, Geld, Kinder, der ganze Dreck, den man zusammen besitzt. Und Liebe … ab und zu scheint die doch vor allem eine Entschuldigung dafür zu sein, dass man tut, was man will. Verletzt, kontrolliert, misshandelt … Wir richten den totalen Wahnsinn an und machen dann die Liebe dafür verantwortlich. Jeder Typ, der seine Frau verprügelt, behauptet doch, das aus Liebe getan zu haben! Andere morden und behaupten, aus Liebe gehandelt zu haben … Verliebte Menschen balancieren an der Grenze zur Psychose, ist Ihnen das klar?«
Er schaut mich herausfordernd an. Sucht Bestätigung.
»Ein Verliebter hat dieselben Signalstoffe in der Birne wie ein Verrückter. Verstehen Sie? Liebe ist lebensgefährlich. Bewahre uns vor der Liebe.«
Ich öffne den Mund, um dieser Behauptung zu widersprechen, um die Liebe zu verteidigen, aber ich bleibe stumm. Vielleicht hat er recht. Draußen sehe ich große Schneeflocken über den Medborgarplatz rieseln. Sie wirbeln im Licht der Straßenlaternen umher, tanzen durch die Luft, hüllen den Platz in eine weiße, daunenweiche Decke.
»Es schneit«, sage ich. Aber Patrik gibt keine Antwort.
Wir sind in einem der vielen Cafés in den Söderhallen verabredet. Ich weiß, dass Aina es nicht billigen wird, dass wir uns außerhalb der Gruppe treffen, aber ich habe keine Lust, mir darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen. Aina wird immer übellauniger und unzugänglicher. Seit die Beziehung zu Carl-Johan beendet ist, kann ich sie nicht mehr erreichen, und meistens faucht sie mich nur an.
Die Markthalle ist eng und riecht nach feuchten Decken. Irgendetwas wird gefeiert, ein Jubiläum, und eine Menge Menschen wollen Bioschwein zum Sonderpreis kaufen oder schwedische Dessertkäse kosten. Ich suche mir einen Tisch und sehe einem Zauberer zu, der vor einer Gruppe staunender Kinder seine Zaubertricks vorführt. Ohne dass ich es merke, lässt sie sich neben mir nieder.
Sie hat die Haare zu ihrem üblichen Pferdeschwanz gebunden. Ihr Gesicht ist bleich, verhärmt. Sie sieht magerer aus. Erschöpft. Sie spürt meinen Blick und lächelt verlegen.
»Ich weiß. Ich sehe unmöglich aus. Schon wieder.«
Ich schüttele den Kopf. Trotz der Erschöpfung ist sie auf eine fast hypnotische Weise schön. Wie erleuchtet von einer inneren Glut.
»Haben Sie etwas gehört? Haben sie eine Spur von Henrik?«
Sie zuckt resigniert mit den Schultern.
»Nichts. Sie haben keine Ahnung, jedenfalls verraten sie mir nichts. Ich begreife nicht, wie er einfach so verschwinden kann. Irgendwer muss ihm helfen. Es muss irgendwen geben, der ihn versteckt hält. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er in der Nähe ist. Dass er mich verfolgt, aber das ist doch der pure Wahnsinn. Oder?«
»Haben Sie mit der Polizei gesprochen? Haben Sie gesagt, dass Sie glauben, dass er … Sie verfolgt?«
»Doch, ich habe mit der Polizei gesprochen, und sie haben bei mir eine Alarmanlage und eine Direktverbindung zu 112, und was weiß ich noch alles, installiert. Sie nehmen mich jetzt immerhin ernst. Nach der Sache mit Hillevi …«
Sie verstummt und starrt den Tisch an. Scheint jedes Detail der Tischplatte zu registrieren, lässt den Finger über einen Riss laufen.
»Und Tilde. Glauben Sie, er könnte Tilde entführt haben?«
Kattis schaut auf, erwidert meinen Blick.
»Ich weiß nicht, aber sich über Kinder herzumachen, passt nicht zu ihm.«
Schweigend bleiben wir sitzen. Ich denke an Tilde, an das Zeitungsbild der verschwundenen Fünfjährigen. Dünne braune Zöpfe, fröhlicher Mund. Ein kleines
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