Das Trauma
sich liebt, nur seine eigenen Bedürfnisse sehen kann. Und seine neue Freundin, einerseits hoffe ich, dass die Sache hält, dass er bei ihr bleibt. Damit er mich loslassen kann. Andererseits, was, wenn er auch sie verletzt? Bin ich dann irgendwie mitschuldig? Bin ich das?«
Hillevi streichelt Kattis’ mageres Bein, sagt aber nichts.
Aina ist schon vorgegangen, um uns einen Tisch zu besorgen. Ich bin allein in der Praxis, um nach dem Treffen aufzuräumen. Leere Tassen und Gläser müssen in die Spülmaschine gestellt werden. Die Tafel muss gewischt werden, der Tisch ebenfalls. Aus dem kleinen CD-Gerät ist die gequälte Stimme von Jeff Buckley zu hören. Aina hat sich beklagt, sie findet meine Musikauswahl deprimierend, aber ich fühle mich wohl dabei. Vielleicht passt die Musik zu meiner Stimmung. Vielleicht passt sie viel zu gut.
Während ich aufräume, gieße ich mir aus dem vergessenen Karton ein Glas Wein ein. Der Karton ist von der vergangenen Woche übrig, als Sven einige frühere Studienkollegen zu Wein und Schnittchen eingeladen hatte. Der Wein ist billig und sauer, aber es ist doch ein schönes Gefühl, als die vertraute Wärme sich fast sofort vom Magen her durch alle Nerven im Körper ausbreitet.
Es geht ums Funktionieren, denke ich.
Es kommt darauf an, dass alles funktioniert.
Plötzlich höre ich ein seltsames Geräusch, das sich durch den Vorhang aus Musik drängt. Trotz der sanften Ruhe, die der Wein mir bringt, spüre ich, wie das Unbehagen sich wie ein elektrischer Stoß in mir ausbreitet. Sofort setzt die Angst ein, und ich spüre, wie die kleinen Haare in meinem Nacken sich sträuben, als ich plötzlich begreife. Ich bin nicht allein in der Praxis. Es ist noch jemand hier.
Ich schalte die CD aus, unterbreche Jeff Buckleys Klagelied in »Brace«. Wieder ist das Geräusch zu hören, dumpf, erstickt. Als ob da jemand nicht gehört werden will. Ich schaue mich langsam im Raum um, versuche zu begreifen, woher das Geräusch kommt, und suche zugleich nach Auswegen.
Flucht.
Meine selbstverständliche Reaktion ist Flucht.
Die großen Fenster sind schwarz und blank. Ich versuche, mir gut zuzureden, mir klarzumachen, dass keine Gefahr besteht, als ich plötzlich begreife, was ich da höre.
Jemand weint.
Die Toilette im Flur ist abgeschlossen. Ich klopfe an die Tür, und das dumpfe Schluchzen verstummt. Die Tür wird geöffnet, und eine Frau mit roten Augen schaut mich an.
Es ist Kattis.
Ihr Augen-Make-up ist zerflossen und bildet schwarze schmale Bäche, die sich auf ihren Wangen verzweigen, wie ein Flussdelta in einer flachen Landschaft. Ihre Augen sind geschwollen, die Haare durcheinander, die Wangen rot. Vielleicht vor Schmerz und Kummer, oder auch weil es ihr peinlich ist, in diesem privaten Augenblick entdeckt worden zu sein.
Kattis fährt sich mit den flachen Händen über das Gesicht. Reibt sich die Haut unter den Augen, was nur dazu führt, dass die schwarzen Schminkebäche zu schmutzig grauen Feldern werden. Sie schaut mich an. Vorsichtig, zaghaft.
»Entschuldigung. Ich wusste nicht … schließen Sie jetzt ab? Ich meine, wollen Sie gehen?«
Sie wischt sich über die glänzende Nase und zieht den Rotz hoch. Ich sehe, dass sie sich Mühe gibt, um sich zu beruhigen. Um die Kontrolle zurückzugewinnen. Ich tue etwas, das ich fast immer vermeide. Strecke die Hand aus, berühre ihren Arm. Versuche, eine Art Ruhe auszustrahlen. »Das ist nicht weiter schlimm. Ich wollte nur ein bisschen aufräumen.«
Kattis scheint meine Geste verstanden zu haben. Sie lacht zaghaft, dankbar.
»Entschuldigung. Wirklich, Entschuldigung. Ich habe Sie erschreckt, was?«
Sie mustert mich zum ersten Mal aufmerksam, und mir geht auf, wie ich in ihren Augen wirken muss. Angespannt, vielleicht ängstlich, und mit einem halbleeren Weinglas in der Hand. Ich schiele zum Glas hinüber, und Kattis bemerkt diesen Blick, und plötzlich kichern wir beide los.
»Nein, eigentlich nicht. Oder vielleicht, vielleicht ein bisschen.«
Ich lache und merke, wie die Spannung langsam meinen Körper verlässt.
»Aber wie geht es denn Ihnen?«
Kattis legt den Kopf schräg und streckt in dem kleinen Badezimmer die Hand nach Toilettenpapier aus. Ich lege ihr die Hand auf den Arm.
»Lassen Sie uns kurz hinsetzen!«
Ich gehe vor und steuere den Therapieraum an, wo wir noch eine halbe Stunde zuvor einander gegenübergesessen haben. Jetzt setzen wir uns, und Kattis schaut fragend mein Weinglas an.
»Also, ich kann mir ja
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