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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
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ein, wir lesen einfach in irgendeinem Handbuch oder … Das ist so komisch, als ich mit KVT angefangen habe, dachte ich immer, wir wären die Guten. Wir hörten den Klienten wirklich zu und nähmen ihre Symptome ernst. Arbeiteten daran, was die Klienten wirklich für das Problem hielten. Aber wenn ich das hier lese, dann begreife ich, dass diese Leute uns für böse, oberflächlich, kurzsichtig und einfach interessiert daran halten, in der kürzest möglichen Zeit so viele Ergebnisse wie möglich zu erzielen. Als wäre es uns egal, wie das Ergebnis zustande kommt. Als sähen wir das Leid nicht …«
    »Daran sind wir vielleicht selbst schuld?« Ich teste den Gedanken ein wenig vorsichtig, neugierig auf Ainas Reaktion.
    »Und wie genau meinst du das? Denkst du vielleicht dasselbe wie unser Freund hier, der Analytiker?«
    »Ich meine nur, dass wir selbst gern über Ergebnisse und Behandlungsdauer, Evidenz und Geld reden. Und weniger über vermindertes menschliches Leid …«
    »Jetzt redest du genau wie diese Leute.«
    »Nein, das tue ich nicht. Ich kann nur Schwarzweißdenken nicht leiden. Nicht bei den Analytikern, nicht bei uns.«
    Aina schüttelt den Kopf und wirft die Zeitung beiseite.
    »Scheißegal. Ich habe schon Essen bestellt, Frikadellen. Die können jederzeit kommen. Warum hat das so lange gedauert? Wie lange braucht man denn, um eine Geschirrspülmaschine einzuräumen?«
    Sie mustert mich lange, ohne den Blick abzuwenden.
    »Hast du getrunken? Du hast Rotwein im Mundwinkel.«
    Instinktiv schlage ich die Hand vor den Mund, wie um eventuelle Spuren meiner Schande zu verdecken. Aina sieht diese Bewegung und grinst.
    »Mit den Fingern in der Plätzchendose erwischt. Du hast im Büro gesessen und Wein getrunken. Total falsch. Warum? War Sven noch einmal da, oder was?«
    Ich schüttele den Kopf und merke, dass ich eigentlich keine Lust habe, Aina von Kattis zu erzählen.
    »Es ist nur etwas passiert. Ganz unerwartet.«
    »Und?«
    »Eine aus unserer Gruppe.«
    »Bitte, Siri, kannst du dich ein wenig klarer ausdrücken? Ich will dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen müssen.«
    Aina sieht wieder gereizt aus, und ich möchte sie gerne besänftigen. Ich könnte eine saure Aina an diesem Abend nicht ertragen. Ich beschließe, von Kattis zu erzählen, den Wein aber auszulassen. Ich weiß, dass sie sich ärgern wird, mit vollem Recht. Außerdem will ich nicht das Risiko eingehen, mir noch einen Vortrag über meine Trinkgewohnheiten anhören zu müssen. Es reicht, dass Markus sich dauernd über meine Trinkerei beklagt. Rasch erzähle ich, was geschehen ist, und Aina hört konzentriert und mit halb geschlossenen Augen zu.
    »Okay, alles klar. Warum hast du das nicht sofort gesagt? Das klingt ja gar nicht gut. Meinst du, sie wird zusammenbrechen?«
    Ich schließe die Augen und überlege. Sehe Kattis vor mir. Den schmächtigen Körper, die Arme, die sich wie eine Zwangsjacke um den Oberkörper schlingen. Die von Tränen verschmierten Wangen. Aber auch ihren Blick, den Mut, den sie ausstrahlt.
    »Ich weiß nicht, aber ich glaube eigentlich nicht. Sie hat etwas Starkes. Unzerstörtes.«
    Eine lärmende Schar von Frauen kommt herein und lässt sich am Nachbartisch nieder. Sie bringen eine Wolke aus Zigarettenrauch und dem Geruch feuchter Wolle mit, und mir ist klar, dass sie zum Rauchen draußen waren. Aina und ich wechseln einen Blick und das Thema. Kein Fachsimpeln, wenn andere zuhören.
    »Wie läuft es eigentlich mit dir und Markus?«
    Auch nicht das Thema, das mir jetzt am liebsten ist. Ich fühle mich nach unserem letzten Streit noch immer schuldig. Es ist so, als ob ich im Moment dauernd einen Stein im Magen mit mir herumtrüge. Ein bohrendes Gefühl, nicht gut genug zu sein, alles falsch zu machen. Ab und zu weiß ich nicht einmal, was ich getan habe. Nur, dass ich es getan habe. Ich sehe Markus’ Gesicht vor mir. Seine zerzausten Haare, die spärlichen blonden Bartstoppeln. Die fülligen Lippen. Und dann seine Augen, seinen traurigen, verletzten Blick. Ich seufze unfreiwillig.
    »Na, dann«, sagt Aina, und ich sehe echtes Mitgefühl in ihrem Blick.
    »Ich enttäusche ihn die ganze Zeit. Ich kann ihm nicht das geben, was er will.«
    »Und was will er?«
    »Die ganze Chose. Du weißt schon. Er will eine Art Scheißfamilienidyll, so wie seine Eltern das oben in Norrland haben.«
    Ich spüre, wie mein Unbehagen wächst, wenn ich an seine Familie denke. An Markus’ provozierende Idealisierung von deren

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