Das Trauma
… ich war viel mit Geländeläufen und Rückentraining beschäftigt. Bis zu zwei Stunden am Tag.«
Sie zuckt mit ihren muskulösen Schultern, wie um ihren Trainingseinsatz kleinzureden, und dann sieht sie Sofie an, die links neben ihr sitzt.
Sofie lacht unsicher und zupft an ihrem verwaschenen Pullover herum. Trotz der dicken Schicht von Schminke sieht sie keinen Tag älter aus als siebzehn. Ihre Stimme ist dünn und heiser, als sie anfängt:
»Bei mir war nichts Besonderes. Ich war eigentlich meistens in der Schule.«
Aina nickt und zeigt auf Hillevi, die neben Sofie sitzt. Sie trägt Schwarz und ist, genau wie beim letzten Mal, auffallend schön. Ihre dunklen kurzgeschnittenen Haare passen sich an die elegante Kopfform an, ihre großen dunklen Augen schauen sich gelassen im Raum um, und sie lacht ein wenig.
»Ich habe in dieser Woche viel nachgedacht.«
»Erzählen Sie!«, sagt Aina.
Hillevi nickt.
»Nach unserem Treffen hier hatte ich viel Stoff zum Nachdenken. Ich muss sagen, ich fand es unglaublich stark von Ihnen, Malin, von der Vergewaltigung zu erzählen. Das hat mir geholfen. Denn wenn Sie stark genug sind, um jetzt schon darüber zu reden, dann weiß ich, dass ich das auch schaffen werde. Dann werden wir es schaffen. Ich und die Kinder.«
Malin sieht verlegen aus, starrt den Boden an, lächelt aber ein wenig.
Aina nickt und macht sich eine Notiz, und ich fühle mich wieder verlegen, als ob ich zur Gruppe nichts beizutragen hätte.
Ballast, denke ich.
Ich sehe Sirkka an, die gestikuliert und redet, aber plötzlich höre ich nicht mehr, was sie sagt. Sehe nur die roten Haare und die mageren Hände. Den schmalen Mund, der von tiefen Runzeln durchzogen ist und sich ununterbrochen bewegt, als sie die Ereignisse der Woche schildert.
Die Gruppe lacht über etwas, das sie sagt. Aina lacht. Schaut mich dann an und hebt fragend eine Augenbraue.
Ich lache pflichtschuldig mit, und mein Inneres füllt sich plötzlich mit etwas Kaltem. Werde ich das hier wirklich schaffen? Kann ich, die ich selbst ein Opfer von Gewalt geworden bin, diesen Frauen hier helfen? Ich, die nicht einmal genug Energie aufbringen kann, um ihnen zuzuhören.
Nun ist Kattis an der Reihe. Ihre langen braunen Haare sind wie beim letzten Mal locker zusammengesteckt. Aber heute wirkt sie müder. Erschöpft. Als wäre sie in dieser vergangenen Woche gealtert.
»Okay«, sagt sie zögernd, langsam, als wäre sie nicht sicher, ob sie erzählen soll oder nicht. »Es war eine Scheißwoche. Henrik, mein Ex also, hat sich meine neue Telefonnummer besorgt und immer wieder angerufen.«
Sie sinkt auf ihrem Stuhl zusammen, und die dichten braunen Haare fallen ihr ins Gesicht, verstecken ihren Blick.
Aina klopft leise mit dem Kugelschreiber auf ihren Block.
»Kattis, meinen Sie, Sie könnten ein wenig mehr über sich und Henrik erzählen? Ginge das?«
Kattis zuckt mit den Schultern, ohne aufzublicken, und ich verspüre ein seltsames Gefühl der Zusammengehörigkeit mit der Frau neben mir. Wir sind sicher im selben Alter. Sie ist klein und zierlich, so wie ich. Aber ihre Haut ist blass. Im kalten Licht der Neonröhre ahne ich die Adern unter der papierdünnen Haut ihres Halses. Die Jeans hängen lose auf ihren Hüften, so, als hätte sie kürzlich sehr viel abgenommen.
»Henrik und ich haben uns vor zwei Jahren kennengelernt. Bei einem Freund von ihm. Es war wirklich Leidenschaft auf den ersten Blick.«
Sie lacht. Hebt den Kopf und blickt sich um, und ich staune darüber, wie schön sie ist, wenn sie froh aussieht. Ich habe sie noch nie so froh erlebt.
»Leidenschaft?«, fragt Aina, um ihr weiterzuhelfen.
»Ja, es war der glatte Wahnsinn. Wir waren eigentlich sofort unheimlich verliebt ineinander. Und der Sex war phantastisch. Das ist in diesem Zusammenhang vielleicht überflüssig, aber für mich … ich hatte so etwas einfach noch nie erlebt. Wir sind schon nach ein paar Wochen zusammengezogen, oder besser gesagt, ich bin bei ihm eingezogen.«
Sie lächelt wieder, breiter diesmal. Wir anderen sitzen stumm da, die Hände auf den Knien gefaltet, warten darauf, wie es weitergeht. Aina nickt stumm.
Draußen vor dem Fenster ist der Herbsthimmel dunkel geworden, und ein bläuliches Licht fällt ins Zimmer. Wir hören nur das ferne Dröhnen des Verkehrs und Sirkkas zischenden Atem. Ich vermute, dass die vielen Jahre des Rauchens sich in ihrer Lunge bemerkbar machen.
»Na jedenfalls …« Plötzlich wirkt Kattis verlegen, starrt wieder den
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