Das Trauma
verlegen aus.
»Und mir ist klar, dass Sie darauf nicht antworten können. Und Sie können auch nicht mit mir reden, hab ich recht?«
»Das haben Sie.«
»Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht so überfallen, aber ich dachte, Sie würden am Telefon nicht mit mir reden wollen. Ich wollte nur …«
Er zögert, sucht nach Worten.
»Ich glaube, ich will es erklären. Ich will, dass Sie es verstehen. Es ist nicht alles so einfach, wie es aussieht. Ich möchte, dass Sie auch meine Version kennen. Können Sie mir nicht einfach zuhören?«
»Ich … nein, das geht nicht, ich kann nicht mit Ihnen reden, vollkommen unmöglich.«
Er lacht leise, als fände er das komisch, und schaut auf den einsamen Platz.
»Ich hätte es kapieren müssen«, murmelt er.
»Was denn?«
Er seufzt tief, scharrt ein wenig mit dem Fuß in dem braunschwarzen Matsch auf dem Boden.
»Vergessen Sie es. Ich werde Sie nicht weiter belästigen.«
Dann kehrt er mir langsam seinen breiten Rücken zu.
»Warten Sie, woher wissen Sie, wer ich bin? Woher wissen Sie, wo ich arbeite?«
Er schaut mich über die Schulter an, wirkt überrascht. Als würde er nicht begreifen, weshalb ich diese Frage stelle. Als hielte er sie nicht für wichtig. Langsam dreht er sich wieder um.
»Ich habe mir Ihre Website angesehen, nachdem ich mit Kattis gesprochen hatte. Da ist ein Bild von Ihnen. Und Ihre Adresse steht da. So einfach war das. So einfach ist es, jemanden zu finden.«
Er zuckt mit den Schultern und macht zwei Schritte auf mich zu. Er sieht müde aus. Seine Augen sind trübe und rot unterlaufen.
»Ich habe Sie durcheinandergebracht, ja? Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich wollte nur reden.«
Jetzt ist sein Gesicht ganz dicht an meinem. Seine Haut ist solariumsbraun und ein wenig runzlig. Er fasst meinen Arm, ein wenig zu hart, ein wenig zu lange, aber dann scheint er zu beschließen, dass es wohl besser ist, mich loszulassen.
»Ich wollte nur, dass Sie wissen, dass nicht alles so ist, wie Kattis sagt. Sie hat eine verdammt lebhafte Phantasie.«
»Na gut. Alles klar.« Meine Stimme ist brüchig und kraftlos.
Ohne noch mehr zu sagen, bückt er sich, hebt seine Sporttasche hoch, fährt sich mit der Hand über den geschorenen Schädel, macht kehrt und verschwindet in der Dunkelheit, als wäre er unterwegs zu einem wichtigen Termin.
Ich trete einen Schritt zurück, lehne mich an eine Mauer und kotze auf das schwarze Pflaster.
Auszug aus dem Bericht der Schulpsychologin,
Unter- und Mittelstufenschule Älvängen
Laila Molin, Klassenlehrerin der 2b, beschreibt Schwierigkeiten mit einem Jungen in ihrer Klasse. Kann noch immer nicht richtig lesen und hat große Probleme damit, die Buchstaben zu lernen. Kann seinen Namen schreiben. Laila überlegt, ob der Junge möglicherweise spezifische Lese- und Schreibprobleme hat, und schlägt vor, ihn zur Sonderlehrerin Gunvor Blomkvist zu schicken, was alle bei der Besprechung Anwesenden für eine gute Idee halten. Laila erzählt außerdem, dass der Junge zu heftigen Wutausbrüchen neigt, wenn er seinen Willen nicht bekommt. Es passiert in Lailas Unterricht nur selten, scheint aber bei Sport und Kunst, wo er andere Lehrer hat, ein größeres Problem zu sein. Der Sportlehrer glaubt, dass der Junge von den anderen Kindern schikaniert wird, weil er ein wenig unbeholfen und übergewichtig ist. Andere Lehrer haben diese Tendenzen nicht beobachtet. Wir beschließen, den Jungen zu Gunvor Blomkvist zu schicken, damit er an seinen Lesefertigkeiten arbeiten kann.
Siv Hallin, Schulpsychologin
Samstagmorgen.
Das Schlafzimmer ist hell, und Sonnenstrahlen stehlen sich durch das Fenster, blenden mich, als ich versuche, die Augen aufzuschlagen. Es regnet nicht mehr. In der Nacht hat der Regen mit solcher Stärke gegen die Fensterscheiben geprasselt, dass ich ihn einen Moment lang für Hagel hielt, jetzt aber ist alles still. Ich liege allein im Doppelbett. Markus arbeitet, jedenfalls behauptet er das. Ich weiß nicht, warum, aber auf irgendeine Weise bin ich dankbar dafür, dass er nicht hier ist.
Ich wickele mich in die Decke und gehe über den kalten Holzboden zum Fenster. Draußen liegt die Bucht spiegelblank. Die Ahornbäume am anderen Ufer verlieren ihre letzten Blätter. Einige tapfere, rote und orange, hängen noch in den ausgezehrten Kronen. Bald werden auch sie fallen. Ich öffne das Fenster und atme die klare Luft ein. Lasse die behutsamen Strahlen der Herbstsonne mein Gesicht streifen. Blinzele. Atme.
In diesem
Weitere Kostenlose Bücher