Das Trauma
Sein Gang ist unsicher, und er trägt nur ein T-Shirt, er muss entsetzlich frieren. Er hat die Hände in die Taschen seiner zerlumpten Jeans gebohrt, und auf dem Kopf trägt er eine rote Mütze. Diskret mache ich einen Bogen um den offenbar betrunkenen Mann, gehe in Richtung Thai-Restaurant. Schaue den feuchten Asphalt an, als ob der mich interessierte. Umklammere die Tasche mit der Hand.
Aber er scheint etwas von mir zu wollen. Schleppt sich auf mich zu, vertritt mir den Weg, ehe ich in die Dunkelheit fliehen kann.
Am Ende muss ich ihn ansehen. Sein Blick ist so leer wie der schwarze Himmel über uns. Er schwankt langsam hin und her, und plötzlich habe ich Angst, er könnte umkippen.
»Hastu mal ’nen Zehner für’n Hamburger?«
Ich fühle mich beklommen. Die Junkies werden auch immer jünger. Den Typen in dem T-Shirt würde ich nicht für älter als fünfzehn halten. Aber ebenso peinlich berührt, wie ich von drogensüchtigen Kindern bin, ebenso groß ist meine Angst vor der Dunkelheit und vor allem, was ein Junkie in Geldnot anstellen kann. Kind oder nicht.
Ich durchwühle rasch meine Manteltaschen. Die linke ist verschlissen. In dem billigen dünnen Futter klafft ein Loch. Keine Münzen. Ich mache mich am Riemen meiner Handtasche zu schaffen. Meine Finger sind steif und wollen mir nicht gehorchen.
»Belästigt er Sie?«
Ich schaue auf, wende meinen Blick von dem mageren, frierenden Jungen ab. Zuerst sehe ich ihn nur als Silhouette vor der Laterne vor den Söderhallen, dann löst er sich langsam von diesem Hintergrund. Er ist groß und kräftig und hat einen geschorenen Schädel. Schwarze Daunenjacke, Jeans, eine Tätowierung, die unter der Jacke hervorlugt, eine Art Trainingstasche in der Hand. Könnte irgendein Handwerker oder Sportlehrer oder Wachmann sein. Trotz seiner Größe und seiner Aufmachung sieht er nett aus. Sympathisch.
»Nein oder, na ja … er wollte nur Geld für einen Hamburger.«
»Für einen Hamburger?« Der Mann lacht kurz, als hätte er diese Hamburgerlüge schon etliche Male gehört. Er schiebt die Hand in die Jacke und zieht eine abgegriffene Lederbrieftasche hervor. Nimmt einen zerknitterten Fünfziger heraus und reicht ihn dem überraschten Knaben, der offenbar seinen Augen nicht zu trauen wagt. Er schnappt sich den Schein, schaut zu dem Mann hoch und murmelt »danke«. Etwas leuchtet in seinen Augen auf. Ein Gefühl, ein Gedanke, aber dann ist sein Gesicht wieder leer und ausdruckslos. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass die beiden einander auf irgendeine Weise kennen. Etwas liegt in diesem raschen Blick, den sie wechseln, darin, wie der Junge sich den Geldschein schnappt.
Er rennt los in Richtung Björns Trädgård. Der Wind packt sein T-Shirt. Hebt es über seinen Bauch, aber er reagiert nicht.
»Warte!«, rufe ich hinter ihm her. »Warte, frierst du nicht? Hier, möchtest du meinen Schal?«
Er dreht sich zu mir um. Erwidert meinen Blick, seine bleichen Lippen öffnen sich zu einem Lächeln.
»Meine Fresse. Geil. Das ist der Hammer.«
Der Mann lacht. Macht eine resignierte Handbewegung und dreht sich dann zu mir um.
»Sind Sie Siri?«
Ich bin so überrascht, dass ich nicke. Woher kann er wissen, wer ich bin?
»Ich bin Henrik.« Er streckt mir die Hand hin, und ich ergreife sie automatisch. Registriere, dass seine Hand warm ist und sich stark anfühlt. Ich verstehe noch immer nicht, wer er ist, sein Name erweckt keine Assoziationen, ich kenne ihn nicht. Ein Fremder.
»Sie wissen nicht, wer ich bin, vermute ich?«
Noch immer kann ich nichts sagen. Schüttele den Kopf. Zittere, als ein kalter Windstoß durch meinen dünnen Mantel fährt.
»Ich glaube, meine frühere Freundin ist bei Ihnen in einer Art Gruppe, einer Gruppe für Frauen, die Gewalt ausgesetzt gewesen sind.«
Ich fühle mich plötzlich sehr einsam auf dem großen dunklen Platz. Nichts, was Vijay über die Gruppe und die Gruppenleitung gesagt hat, hat mich auf das hier vorbereitet.
Ich versuche, energisch auszusehen. Eine Art Gewicht heraufzubeschwören, das mir eigentlich fehlt. Die Wahrheit ist: Ich habe solche Angst, dass meine Knie mich kaum tragen. Der Mann, der Kattis misshandelt hat, der Mann, den sie als Psychopathen bezeichnet hat, steht vor mir im Dunkeln auf dem Medborgarplatz.
»Entschuldigung, ich verstehe, natürlich. Aber wenn es nun so wäre, dass Kattis, rein theoretisch, bei Ihnen eine Art Behandlung macht … dann würde ich gern mit Ihnen reden.«
Er schaut zu Boden. Sieht fast
Weitere Kostenlose Bücher